Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
blühender Rosen und Sträucher, die den Garten umschlossen. Was war nur mit ihm los? Adam wünschte sich, Agnes möge endlich verschwinden, damit er in Ruhe nachdenken konnte. Wenn ich mich nur besinne, wenn ich Zeit habe, werde ich mich bestimmt wieder erinnern. Allerdings funktionierte es nicht, solange sie ständig in der Nähe war.
»Es sind höchstens drei Klafter bis zu der verfluchten Bank. Ich will es allein dorthin schaffen, verstanden?«, sagte er.
Ihre Augen weiteten sich, und er konnte die Traurigkeit darin erkennen.
»Natürlich, Adam. Entschuldige.« Sie ließ ihn los, trat beiseite.
Nach einem tiefen Atemzug setzte er vorsichtig einen Fuß vor den anderen, wobei er sein verletztes Bein hinter sich herzog wie eine schwere Last. Das Gras kitzelte an seinen nackten Füßen, und ein Windstoß blies ihm eine Haarsträhne ins Gesicht. Unwirsch pustete er sie fort. Als er die Holzbank erreichte, ließ er sich schwer atmend nieder. Der Hund legte sich neben ihn ins Gras.
Agnes lächelte. »Du hast es geschafft, Bruder. Ganz allein.«
Ja. Bloß warum konnte er sich nicht darüber freuen?
Sie ergriff seine Hände. Ihre Augen strahlten. »Bald wirst du den Stock nicht mehr brauchen. Alles wird gut.«
Adam blickte auf ihre Hände, und die Kehle wurde ihm eng, als sie mit dem Daumen über seinen Handrücken strich. An der Stelle, wo sie ihn berührte, prickelte seine Haut, und etwas in ihm schien zu zerspringen. Er riss sie an sich, hielt ihren festen Leib umfangen und vergrub sein Gesicht in ihrer schwach nach Seife duftenden Halsbeuge. Agnes wehrte sich nicht, sondern sog nur überrascht die Luft ein. Sein Körper reagierte unmissverständlich auf die Weichheit ihrer Haut. Sie so nahe bei sich zu haben, ihren Herzschlag an seiner Brust zu fühlen, löste den Panzer ein wenig, den er um sich herum errichtet hatte. War das nicht ein ganz natürliches Bedürfnis unter Geschwistern? Nur widerwillig löste er sich von ihr und hob ihr Kinn.
Erschrocken stellte er fest, dass in ihren Augen Tränen schimmerten. »Verzeih, Agnes«, stammelte Adam, während er ihr zart über die Wangen strich. Ihre Augen waren groß und fragend auf ihn gerichtet. »Ich habe kein Recht, so mit dir zu sprechen, Schwester. Du bist immer gut zu mir. Ich … ich kann mich nur für mein Benehmen entschuldigen.«
»Schon gut.«
»Nichts ist gut!« Es kostete ihn Überwindung, der Versuchung zu widerstehen, ihren vollen Mund mit seinem zu verschließen, sie endlich zu küssen, so wie er es unzählige Male in seinen Träumen schon getan hatte. Adam spürte einen schalen Geschmack im Mund. Wie konnte er auch nur daran denken, die eigene Schwester küssen zu wollen? Sie so sehr zu begehren, dass es ihn beinahe zerriss? Es musste der Leibhaftige sein, der ihm diese Gedanken eingab! »Halte dich besser fern von mir«, presste er hervor. »Ich bin deiner nicht wert.« Dann griff er nach seinem Stock und erhob sich schwankend. Der Hund folgte ihm mit gesenktem Kopf.
Cristin schaute ihm nach, bis seine schlaksige Gestalt nicht mehr zu sehen war. Halte dich fern von mir. Ich bin deiner nicht wert. Sie schlug die Hände vors Gesicht und verharrte in der Bewegung. Wieso stieß er sie auf einmal von sich wie ein lästiges Übel, das man nur abzuschütteln brauchte? Sie begann zu frieren und kannte sich nicht mehr aus. Bisher hatte sie versucht, seine wechselnden Launen zu übersehen und sie mit seiner Unfähigkeit, sein Schicksal anzunehmen, entschuldigt. Halte dich fern von mir. Wie stellte er sich das überhaupt vor? Sie ließ den Blick über den Garten mit seinen üppig blühenden Rosenbüschen schweifen, ohne jedoch etwas wahrzunehmen. Ein Schwarm Mücken schwirrte in der Luft, die nun ihren süßen Duft für sie verloren hatte. Trotzig schob sie die Unterlippe vor. Mit einer Hand wischte sie eine Ameise fort, die ihr das Bein hinaufkrabbeln wollte, und straffte die Schultern. Gut, Baldo Schimpf, wenn du es so haben willst … Sie würde ihre Pflicht erfüllen, ihm das Essen bringen und seine Wunden versorgen. Um alles andere würde er sie in Zukunft bitten müssen.
8
H abt ihr Streit, Adam und du?«, fragte Ludewig wie nebenbei, während sie den Behandlungsraum aufräumten.
»Nein«, wich Cristin ihm aus. »Er ist nur gerade etwas schwierig, das ist alles.«
Der Bader verschränkte die Arme vor der Brust. »So, das ist alles. Warum sehe ich ihn dann abends allein spazieren gehen?«
»Ich weiß es nicht, Ludewig. Ich weiß wirklich
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