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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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…« Seine Stimme klang belegt.
    »Nein.« Sie wollte sich aus seiner Umklammerung befreien, doch er hielt sie fest. Seine Lippen wurden schmal, und er hob die Brauen. Cristin wandte den Kopf ab, um die Tränen zu verbergen, die ihr ungehindert über die Wangen liefen. Die einsetzende Stille kam ihr unendlich lang vor, und sie horchte auf seinen heftigen Atem.
    Baldo zog sie näher heran. »Wer bin ich dann?« Er sprach langsam, so als würde es ihn große Anstrengung kosten, diesen Satz über die Lippen zu bringen.
    Nein, sie wollte ihn nicht ansehen, während sie erzählte. Weder seine Trauer noch seine Wut oder das Entsetzen würde sie ertragen können – erst recht nicht die bittere Erkenntnis, dass er sein Leben nach dem verhängnisvollen Unfall mit dem Wildschwein auf ihren Lügen aufgebaut hatte. Cristin fuhr sich mit der Zunge über die kalten Lippen und schaute zu Boden.
    »Du bist Baldo Schimpf, der Sohn von Emmerik Schimpf, dem Henker von Lübeck. Du hast mich, eine zum Tode verurteilte Hexe und Mörderin, vor dem sicheren Tode bewahrt. Wir sind zusammen auf der Flucht!« Als er nicht antwortete, brach es aus ihr heraus. »Hörst du! Alles, was ich dir über dich und mich gesagt habe, ist gelogen! Ich habe es mir ausgedacht!«
    »Ausgedacht«, wiederholte er tonlos, und sein Gesicht verlor jede Farbe.
    Seine Haltung, die Art, wie er den Kopf hielt, glich so sehr der seines Vaters, dass es ihr beinahe körperliche Schmerzen bereitete. Gab es noch mehr Ähnlichkeiten mit dem vermummten Henker, die sie irgendwann an Baldo entdecken würde? Cristin riss sich los, sprang auf und stolperte zu dem Stamm eines alten Baumes. Sie lehnte sich dagegen und versuchte, die Fassung wiederzuerlangen. Aus, vorbei. Aber kam es auf diesen einen letzten Verlust noch an? Die Arme schützend um den Leib geschlungen, verharrte sie, als Rauch sie in der Nase kitzelte. Sie hörte, wie die anderen drüben beim Lager das Feuer austraten. Geschirr klapperte, ein letztes Rascheln, dann verstummten nach und nach alle Laute, und die Gaukler legten sich schlafen. Während sie die wenigen Schritte zum Lagerplatz zurückging, spürte sie ihre Brust eng werden. Das Lügen hatte endlich ein Ende. Gleich am nächsten Morgen würde sie sich verabschieden und allein weiterreisen. Baldo lag inzwischen mit unter dem Kopf verschränkten Armen auf einer Decke. Das Mondlicht fiel auf seine regungslose Gestalt, sein Gesicht allerdings lag im Dunklen.
    »Agnes ist dann sicher auch nicht dein richtiger Name?«
    »Nein. Ich heiße Cristin und bin die Witwe von Lukas Bremer, einem Geschäftsmann aus Lübeck.«
    »Lukas Bremer«, wiederholte er leise.
    Fast schien es ihr, als würde er einen Augenblick über diesen Namen nachsinnen. Hatte er Lukas etwa gekannt? Das war unwahrscheinlich. Ganz sicher hatte ihr Mann nichts mit dem Henker und seinem Sohn zu tun gehabt. Sie suchte nach Worten. »Ich … ich habe dir so viel noch nicht erzählt. Bitte verzeih mir.«
    Im blassen Mondlicht zeichneten sich seine Wangenknochen ab. »Ich will nichts hören, Agnes, Cristin oder wie immer du dich nennst.«
    Die Heftigkeit seiner Worte löste den Wunsch in ihr aus, aufzustehen und die Flucht zu ergreifen. Sie drückte sich enger an Lump heran und vergrub die Finger in das dichte Fell.
    Als Baldo eine Hand auf ihre Schulter legte, zuckte sie zusammen. »Ich danke dir… Cristin«, presste er mühsam hervor. »Danke für deine Offenheit.«
    In seiner Miene suchte sie nach Wut, Trauer oder einer Reaktion, die ihr Aufschluss darüber geben könnte, wie es in ihm aussah. Nichts. »Wie … wie meinst du das, Baldo?«
    »So wie ich es sage. Ich will jetzt nicht weiter darüber reden. Lass mich in Ruhe. Gute Nacht.«
    Verunsicherung machte sich in ihr breit, während er sich zur Seite rollte und die Decke über sich zog. Wie sollte sie diesen Mann jemals verstehen? Mit brennenden Augen starrte sie auf seinen Rücken und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Der befürchtete Tobsuchtsanfall war ausgeblieben. Vorerst. Cristin musste zugeben, dass sein Jähzorn ihr fast lieber gewesen wäre. Mit bangem Herzen drehte sie sich um, schloss die Augen und wartete auf den erlösenden Schlaf. Im Traum wurden Baldo und sie von vermummten Gestalten mit Steinen beworfen und verprügelt. Ein Mann mit einer schwarzen Kapuze über dem Kopf lachte.

12
     
    B aldo knirschte mit den Zähnen. Was für ein verlogenes Weibsbild! Es spielte mit ihm, als wäre er eine Laute, deren Saiten sie nach

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