Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
Vom Netzwerk:
Lust und Laune zupfen und wieder fortlegen konnte. Er stand auf und humpelte zu der an den Lagerplatz angrenzenden Weide. Die Schafe und Kühe, die im Mondschein grasten, schenkten ihm keine Beachtung. Wieder einmal hatte sie seine Welt auf den Kopf gestellt, mit einigen Sätzen nur, doch dafür umso gründlicher. Baldo, der Sohn des Henkers. Ein eiserner Ring schien sich um seinen Brustkorb zu legen. Dann bin ich also … ein Geächteter, dachte er und wunderte sich über die Bitterkeit, die er bei diesen Worten empfand. Einer, mit dem niemand etwas zu tun haben will. Er spuckte neben sich auf den Boden. Aber wer sagte ihm, dass sie diesmal die Wahrheit gesprochen hatte? Agnes … Cristin, wie auch immer sie hieß, nahm es damit offenbar nicht so genau. Verdammt noch mal, wer gab ihr das Recht, so mit ihm umzugehen? Als ein stechender Schmerz seine Gedanken durchbrach, blickte er verwundert auf seine Hände und betrachtete im Mondlicht seine aufgeschürften Fingerknöchel. Erst jetzt bemerkte er, dass er die ganze Zeit über mit geballter Faust auf den Stamm einer alten Buche eingeschlagen haben musste.
    Baldo stützte sich schwer auf seinen Stock, während der Sturm in seinem Inneren weiter anschwoll. Ich habe es geahnt, durchfuhr es ihn. Dann waren die zusammenhanglosen Bilder, die ihn in seinen Träumen gequält hatten, also Wirklichkeit gewesen? Cristin mit gefesselten Händen und bleichen Wangen, die ihm etwas zurief. Der Mann, dessen Gesicht von einer Kapuze bedeckt war und der ein Seil um den Hals eines Fremden zog, musste sein Vater gewesen sein. Zur Hölle mit ihnen allen! Baldo fluchte und stieß einen größeren Stein fort, nur um gleich darauf vor Schmerz aufzustöhnen. Er sank zu Boden. Lump, der ihm gefolgt war, ließ sich neben seinen Füßen nieder und stupste ihn in die Seite. Gedankenverloren fuhr Baldo über das weiche Hundefell und schloss die Augen, als sich eine weitere Erinnerung in sein Gedächtnis drängte.
    Ein halbwüchsiger Junge sah ihn mit traurigen Augen an, einen schwarzen Hund mit hellen Flecken hinter sich herziehend. Ja, Niclas Küppers, der Sohn des Medicus. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Sein Vater hatte ihm den Auftrag gegeben … Baldo schnappte nach Luft. Er hatte den Hund erschlagen sollen. Unzählige Gedanken wirbelten durch seinen Kopf, und er zwang sich zur Ruhe. Dachte an all das, was er soeben erfahren hatte. Sein Leben war ein einziger Dreckhaufen, war nicht einen Pfifferling wert. Kurz war er versucht, zu Cristin hinüberzugehen, sie zu packen und ihr wehzutun. Sie zu verletzen, wie sie ihn verletzt hatte. Im nächsten Moment wünschte er sich, er könnte sie an die Brust ziehen und seinen Mund in ihrer Halsbeuge vergraben. Würde ihr Herz ebenso rasen wie seines jetzt? Wie oft hatte er von ihr geträumt, sich wegen seiner verdorbenen Gedanken selbst verflucht und so manche Nacht schlaflos zugebracht.
    Dichte Wolken hatten sich vor die Mondscheibe geschoben. Ein Ruck ging durch seinen Körper, und er setzte sich auf. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, sein Atem ging stoßweise. Wieso verstand er erst jetzt? Hitzewellen schossen durch seinen Leib, und Baldo erhob sich. Wie ein unruhiges Tier lief er auf und ab, getrieben von dem einen ungeheuerlichen, wunderbaren Gedanken: Sie ist nicht meine Schwester. Also ist nichts von dem, was ich gefühlt habe, verwerflich und des Teufels. Ich bin frei. Ich darf sie lieben. Lieben? Eine Frau, die ihn lange Zeit hintergangen hatte. Wie konnte er dieses Weibsstück überhaupt lieben, nun, da sie sein Vertrauen zerstört hatte?
    Baldo blieb stehen und kaute auf seinem Daumennagel herum. Wie gutgläubig er gewesen war! Leicht war ihr das Lügen allerdings nicht gefallen, das hatte er ihr angesehen. Wie oft war sie seinen Blicken und Fragen ausgewichen, wenn er Näheres aus seiner Vergangenheit hatte in Erfahrung bringen wollen. Plötzlich ergab alles einen Sinn. Welch lächerliches Paar sie darstellten, gemeinsam auf der Flucht vor Recht und Gesetz. Baldo lachte, doch der Laut klang heiser in seinen Ohren. Nachdenklich betrachtete er seine Hände. Hatten sie schon Leben genommen? Und sie ? Diese hübsche, hilfsbereite Frau und Witwe eines Geschäftsmannes, dessen Name eine vage Erinnerung in ihm heraufbeschworen hatte, sollte eine Hexe und Mörderin sein? War dieser Frau, die ihn voller Hingabe gepflegt hatte, eine solche Tat zuzutrauen?
    Vom Lager drang das Brummen des Bären zu ihm herüber, und Lump winselte. Ja, eine Hexe könnte

Weitere Kostenlose Bücher