Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
Dorfkirche? Das war doch nur zum Schein!«
    Dona Gracia benetzte ihren Zeigefinger, um eine Seite umzublättern, und schüttelte den Kopf. »Vor Gott war eure Trauung zum Schein, aber nicht vor der Welt. Eure Ehe hat in allen christlichen Ländern Gültigkeit. Wenn ihr jetzt nach einem anderen Ritus noch einmal heiratet, können sich daraus die kompliziertesten diplomatischen Verwicklungen ergeben. Der Sultan will sich euretwegen keinen Ärger einhandeln, weder mit dem Papst noch mit dem Kaiser.«
    »Das kommt auf den Versuch an«, schnaubte José. »Wenn Ihr Süleyman nicht überzeugen wollt, dann werde ich selbst mit ihm sprechen.«
    »Das hat keinen Sinn, er wird dich nicht empfangen. Mit deiner Flucht aus Ungarn hast du dir seinen Lieblingssohn zum Feind gemacht. Das war ein schwerer Fehler.«
    »Ich weiß. Aber ich werde Mittel und Wege finden. Und wenn ich Selim auf Knien um Verzeihung bitten muss.« José hatte auf einmal das Gefühl zu ersticken und riss sich den Hemdkragen auf. »Reyna und ich wollen heiraten! Und wir sind es leid, uns immer wieder vertrösten zu lassen. Erst heißt es, ich sei kein Jude, und kaum bin ich beschnitten, behauptet Ihr, wir könnten nicht heiraten, weil wir schon verheiratet sind! Das sind doch alles nur Ausreden! Da steckt doch irgendwas anderes dahinter !«
    Dona Gracia zögerte. Unentschlossen zupfte sie sich am Ärmel, ohne José anzuschauen oder ein Wort zu sagen. Dann klappte sie plötzlich das Hauptbuch zu und erwiderte seinen Blick. »Nun gut, ich will offen mir dir reden.«
    José atmete auf. Doch als er ihr Gesicht sah, wünschte er sich, er hätte geschwiegen. Hatte Dona Gracia am Sultanshof von seiner Tochter erfahren? Er wollte den Kloß hinunterschlucken, der ihm auf einmal in der Kehle saß. Aber sein Hals war so trocken, dass er steckenblieb.
    »Ja, du hast recht«, sagte seine Tante schließlich. »Eure Trauung in Schiltigheim ist nicht der wirkliche Grund. Aber ...« »Aber was?«, fiel er ihr ins Wort.
    Dona Gracia holte tief Luft. »Ich ... ich habe dem Sultan ein schriftliches Versprechen gegeben, noch in Venedig. Als Voraussetzung dafür, dass er uns unter seinen Schutz nimmt und wir freies Geleit bekommen, um aus Italien abzureisen.« José fiel ein großer Stein vom Herzen. Ban Nur war also nicht der Grund. Trotzdem, sein Problem war damit noch nicht aus der Welt.
    »Was für ein Versprechen war das?«, wollte er wissen. Seine Tante räusperte sich. »Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll«, antwortete sie, »und ich kann dich nur bitten, mir zu glauben, wie schwer mir der Entschluss gefallen ist ...« Noch während sie sprach, war von draußen auf dem Flur eine laute Männerstimme zu hören. »Wo ist Dona Gracia? Ich muss sie sehen! Sofort!« Im nächsten Moment flog die Tür auf.
    »Dom Miguel?«, fragten José und seine Tante wie aus einem Munde.
    Vor ihnen stand der Kapitän der Gloria, den Dreispitz unter dem Arm, und salutierte. Aber wie sah er aus? Als käme er geradewegs aus einer Schlacht! Seine Kleider waren zerrissen, und um den Kopf trug er einen blutverschmierten Verband. Dona Gracia fand als Erste die Sprache wieder. »Was ist passiert?«
    »Eine Katastrophe«, keuchte Dom Miguel, ganz außer Atem. »Sie haben alle Juden in Ancona eingesperrt. Dutzende Marranen wurden verbrannt! Ich bin selbst nur mit knapper Not entkommen !«
     

9
     
    Leise rauschten die Zweige der Bäume im Sommerwind, der vom Meer durch den Zypressenhain strich. Reyna sog den Duft ein, setzte sich auf einen glatten, rund gewaschenen Felsen und wartete auf José. Während sie den Schiffen zusah, die mit geblähten Segeln in der Abendsonne auf dem Bosporus kreuzten, musste sie an ihre Mutter denken. Konnte das Gelobte Land schöner sein als dieser Ort? Das duftende Wäldchen über dem Wasser war Reynas Lieblingsplatz. Keine Menschenseele verirrte sich hierher, außer ab und zu ein Liebespaar auf dem Weg zu einem kleinen, versteckten Teehaus auf der Höhe des Hangs, das von einem Christen betrieben wurde. Sobald José im Kontor fertig war, wollte er kommen.
    Sie hatte noch keine fünf Minuten gewartet, da hörte sie hinter sich Zweige knacken. Als sie sich umdrehte, blickte sie in Joses lächelndes Gesicht. Wie immer, wenn sie ihn plötzlich sah, fing ihr Herz an zu tanzen. Sie sprang auf, um ihn mit einem Kuss zu begrüßen. »Hast du mit meiner Mutter gesprochen?«, fragte sie. José nickte.
    »Und? Was hat sie gesagt?«
    Er wich ihrem Blick aus. »Ich ... ich muss

Weitere Kostenlose Bücher