Die Gottessucherin
fort. »Reyna, mein Liebling, hab keine Angst. Ich pass schon auf mich auf.«
»Aber ... aber was ist«, stammelte sie, immer noch schluchzend, während sie gleichzeitig jeden einzelnen seiner Küsse genoss, »wenn dir etwas passiert? Es dauert Wochen, bis ich Nachricht bekomme ... Ich ... ich werde sterben vor Angst ...« »Das darfst du nicht«, flüsterte er, ohne mit seinen Küssen aufzuhören. »Wen soll ich denn dann heiraten? Und wer bekommt all die vielen Kinder für mich?«
»Ach, José ...« Obwohl sie immer noch weinte, musste sie lachen. Dann nahm auch sie sein Gesicht zwischen die Hände und schaute ihn an. »Versprich mir wenigstens, dass du nicht nach Ancona fährst. Das darfst du nicht, auf gar keinen Fall! Versprochen?«
»Versprochen!«
Während er sich über sie beugte, um sie wieder zu küssen, ertönte über ihnen in den Baumwipfeln ein leises Gurren. José stutzte.
»Was ist?«, fragte Reyna. »Warum küsst du mich nicht? Hast du Angst, die Vögel schauen uns zu?«
»Mir kommt gerade eine Idee«, sagte er. »Erinnerst du dich an das Purim-Fest in eurem Palast? Als wir endlich allein waren? Oben unterm Dach?«
»Ja, sicher. Weshalb fragst du ?« Plötzlich begriff sie, worauf er hinauswollte. »Du meinst, wir könnten da einen Taubenschlag ... ?« »Genau! Ich kenne einen Vogelhändler in Sirkeci, der hat mir neulich eine Brieftaube angeboten. Die braucht keine zwei Wochen von Italien hierher wie ein Schiff, die ist in drei oder vier Tagen da. Mit der kann ich dir Nachricht schicken. Du musst nur auf dem Dachboden nachschauen.«
»Mein Geliebter«, sagte Reyna und küsste ihn. »Jeden Tag werde ich nachschauen. Jeden, jeden, jeden Tag! Bis du wieder bei mir bist ...«
10
Bei seiner Ankunft in Rom rieb José sich ungläubig die Augen. Das sollte die Hauptstadt der Christenheit sein? Im Vergleich zu Konstantinopel, aber auch zu anderen Städten, die er kannte -Lissabon, Antwerpen oder Venedig -, war Rom ein elendes Nest, zum Ersticken eng bebaut, eine dreckige, stinkende Kloake, ein lärmender Wirrwarr schäbiger Gassen und halbverfallener Hütten, die vermutlich schon zu Julius Cäsars Zeiten eher Ziegenställe als menschliche Behausungen gewesen waren. Empörender noch als die himmelschreiende Not aber war die Entfaltung der Pracht, die sich die Kirchenfürsten hier leisteten. Während überall noch die Spuren der Verwüstung zu sehen waren, die Kaiser Karls Truppen bei der Erstürmung Roms vor einem Vierteljahrhundert verursacht hatten, wuchsen an sämtlichen Ecken und Enden der Stadt, wie zur Verhöhnung des irdischen Elends, das sie umgab, prunkvolle Kirchenpaläste gen Himmel: üppige Sumpfblüten, die sich aus einem Misthaufen erhoben. In einer Herberge am Tiber, in der es von Mönchen ebenso wimmelte wie von Ratten, nahm José Quartier. Die erste Nacht tat er kein Auge zu. Der Strohsack war verlaust, und auf der Straße randalierten Betrunkene, die sich entweder die Köpfe einschlugen oder in verzweifelter Verliebtheit den Mond ansangen. Noch mehr aber setzte ihm eine Frage zu, die ihn bis in den Schlaf verfolgte: Würde man ihn überhaupt im Vatikan empfangen? Um sich als frommer Christ zu zeigen, besuchte José am nächsten Morgen drei Frühmessen im Petersdom, rutschte am Nachmittag im Lateran auf allen vieren die Heilige Treppe hinauf, die einst zum Palast des Pontius Pilatus gehört und die angeblich Jesus Christus schon bestiegen hatte, und ging am Abend im Petersdom zur Beichte, wo er sich nicht nur seiner Sünden entledigte, sondern auch einer prall gefüllten Geldkatze. Zum Dank für die großzügige Spende vermittelte sein Beichtvater ihn an einen Monsignore, der zum Zeichen seiner Würde immerhin violette Knöpfe an der Soutane trug und ihn zum Domkapitular führte, einem fetten, weißhäutigen Glatzkopf, der aussah, als hätte er soeben ein halbes Spanferkel verzehrt. Von dem wurde er mit einem nicht mal zwanzig Jahre alten Bischof bekannt gemacht, in dessen Begleitung José bei einem schlechtgelaunten, gichtigen Kardinal vorsprechen durfte, der sich als Onkel des Bischofs, vor allem aber als Privatsekretär des Heiligen Vaters erwies und ebenso selbstverständlich wie seine minderen Amtsbrüder die Geldspende entgegennahm, mit der José sein Bekenntnis zum wahren katholischen Glauben unter Beweis stellte. Fünf Tage waren auf diese Weise vergangen, bis José eine Audienz beim Papst gewährt wurde. Dann saß er endlich vor einer hohen, von Soldaten der
Weitere Kostenlose Bücher