Die Gottessucherin
Flügelschlagen dunkler, riesiger Himmelsvögel, die Buschtrommeln der Wilden und in der Ferne die Todesschreie seiner Glaubensbrüder, die mit dem Namen des Herrn auf den Lippen starben. Obwohl ihm die Lider schwerer waren als Blei, hob Cornelius Scheppering die Augen, um die Finsternis zu durchdringen und das Licht der Jungfrau zu schauen, der Königin aller Apostel und Märtyrer und Heiligen. Wie ein Verdurstender in der Wüste nach Wasser, lechzte er nach ihrem Anblick, sehnte er ihre Gegenwart herbei, mit der ganzen Inbrunst seiner Seele. Und endlich, endlich sah er sie. In zärtlicher Liebe lächelte sie ihm in der Finsternis zu, die unbefleckte Mutter des Erlösers, die Gnadenvermittlerin und lobwürdige Trösterin aller Betrübten. Doch während ihre Lippen sich zum Kuss formten, verwandelte sich ihr strahlendes Antlitz in eine scheußlich verzerrte Fratze, und Cornelius Scheppering sah in die Augen seiner Widersacherin, in die Augen der Teufelin, in die Augen von Gracia Mendes. Wie ein glühender Speer traf ihn ihr Blick, um mit sengendem Strahl in sein Herz einzudringen. Hatte sie den Sieg bereits errungen? Entsetzt schloss er die Augen. Nie, niemals durfte er diesem Blick Einlass in seine Seele gewähren. Sonst wäre es um ihn für immer geschehen.
»Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder. Jetzt und in der Stunde unseres Todes.«
Jemand berührte seine Schulter. Cornelius Scheppering zuckte zusammen. War der Engel des Todes gekommen, um ihn zu holen? Doch als er sich umdrehte, stand vor ihm kein Bote aus dem Jenseits, sondern Sylvester, der Novize seiner Glaubensbruderschaft. Der junge Mönch war ganz außer Atem. »Verzeiht, ehrwürdiger Vater, wenn ich Euch im Gebet störe. Aber es ist etwas Schreckliches passiert. Sie sind in das Verlies eingedrungen.«
»Wer? Von welchem Verlies redest du? Vom Verlies der Marranen?«
Bevor Bruder Sylvester etwas erwidern konnte, wusste Cornelius Scheppering Bescheid. Das Gesicht des Novizen war Antwort genug.
»Was ist mit meinem Gefangenen? Was ist mit José Nasi?« »Ich ... ich weiß es nicht, ehrwürdiger Vater.« Cornelius Scheppering schlug das Kreuzzeichen, und allen Schmerzen zum Trotz stemmte er sich in die Höhe. »Komm! Wir dürfen keine Minute verlieren.« Auf den Arm des Novizen gestützt, eilte er zum Ausgang. Während er die Hand in das Weihwasser tauchte, öffnete Sylvester das Tor.
»O mein Gott ...«
Auf der Piazza sah es aus, als hätte die Hölle ihre Pforten geöffnet. Im Widerschein lichterloh brennender Barrikadenfeuer kämpften Hunderte von Menschen gegeneinander, ein flammen des Inferno und Tohuwabohu, ein rötlich zuckender Hexensabbat, in dem die Mächte des Himmels den Kräften des Satans gegenüberstanden.
»Und ich sah ein Weib sitzen auf einem scharlachfarbenen Tier«, flüsterte Cornelius Scheppering, »das hatte sieben Häupter und zehn Hörner. Und das Weib war bekleidet mit Purpur und Scharlach und übergoldet mit Gold und edlen Steinen und Perlen und hatte einen goldenen Becher in der Hand. Und das Weib war trunken von dem Blut der Heiligen und von dem Blut der Zeugen Jesu.«
»Ist dies das Endgericht?«, fragte Bruder Sylvester, die Zähne klappernd vor Angst.
»Ja«, nickte Cornelius Scheppering. »Das ist die letzte Schlacht.« Entschlossen trat er aus dem Dunkel des Gotteshauses ins Freie, und während er den Arm des Novizen drückte, schwanden die Schmerzen aus seinem Leib, und er wurde von Kräften beseelt, die er für immer verloren geglaubt hatte, als würden die Lebensgeister des jungen Mannes an seiner Seite in ihn strömen, in seinen welken, müden Leib, um ihn für den letzten Kampf zu rüsten.
»Weh, weh, Hure Babylon, die du bekleidet warst mit Purpur und Scharlach und übergoldet mit Gold und Edelgestein und Perlen. In einer Stunde ist verwüstet solcher Reichtum!«
34
In dem Stollen war es so finster, dass man kaum die Hand vor Augen sah. Immer wieder geriet José in dem niedrigen Gewölbe ins Stolpern und schlug mit Kopf und Schultern gegen die Decke, während er in geduckter Haltung versuchte, Fernando Moro zu folgen, der mit einem Windlicht in der Hand vorausging. Der Kerzenschein reichte gerade für den nächsten Schritt. Doch eine Fackel wäre zu gefährlich gewesen. Der helle Flammenschein hätte sie am Ausgang verraten.
»Wir sind jetzt unter der Stadtmauer«, flüsterte der falsche Mönch.
José kannte seinen Führer noch nicht mal eine Stunde, aber es gab keinen Menschen
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