Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
waren, ging die Rede hin und her.
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis der Dragoman sich wieder an Gracia wandte.
    »Ihr habt eine mächtige Fürsprecherin gefunden«, übersetzte er die Worte des Sultans. »Die Favoritin bittet uns, Euch zu helfen. Vorausgesetzt, Ihr beendet die Blockade in Ancona.« Gracia musste sich auf dem Boden abstützen, so schwindlig wurde ihr, als sie die Worte hörte. Hatte Gott sich ihrer erbarmt, um ihr die Prüfung abzunehmen?
    »Ich werde sofort eine Versammlung einberufen«, erklärte sie, »um meinen Glaubensbrüdern die Nachricht zu verkünden. Sobald das Morden in Ancona aufhört, werden unsere Schiffe wieder den Hafen anlaufen.«
    »Wir schicken noch heute einen Kurier zum Papst. Eure Tochter und Euer Neffe sollen leben.«
    »Ich danke Euch, Ewige Majestät! Eure Güte ist größer als der Erdkreis. Gott möge Euch immerfort segnen!« Während Gracia sich verbeugte, hörte sie, wie Süleyman noch etwas sagte.
    »Unsere Hilfe ist allerdings an eine Bedingung geknüpft«, übersetzte der Dragoman.
    »Welche?« Angespannt spähte Gracia in die Höhe. »Dass Ihr auf Tiberias verzichtet.«
    Gracia wurde für einen Moment schwarz vor Augen. Es war, als würde die Hand, die sie gerade noch fest und sicher geleitet hatte, sie in einen Abgrund stoßen.
    »Bitte, Ewige Majestät! Ich flehe Euch an! Erspart mir diese Bedingung!« Verzweifelt schaute sie zu dem Gitter, hinter dem sie den Schatten des Sultans ahnte. »Tiberias ist meine Mission, mein Lebenswerk! Alles, wofür ich seit Jahren gekämpft habe.« Wieder ein leises Flüstern. Dann räusperte sich der Dragoman, um seinem Herrscher noch einmal seine Stimme zu leihen. »Warum sollen wir uns an eine Zusage halten«, wollte Süleyman wissen, »wenn Ihr die Voraussetzung dieser Zusage selbst gekündigt habt?«
    Gracia blieb die Antwort schuldig. Weil es auf diese Frage keine Antwort gab.
    »Alles im Leben hat seinen Preis«, flüsterte der Sultan. Dann wurde seine Stimme hart. »Entweder Tiberias oder Hilfe für Eure Tochter und Yusuf Bey. Eines von beidem - Ihr habt die Wahl!«
     

32
     
    Siebentausendvierhundertachtundfünfzig, siebentausendvierhundertneunundfünfzig, siebentausendvierhundertundsechzig ... Plop, plop, plop ... Wie in den ersten Tagen seiner Haft hockte José auf dem Felsblock in seinem Verlies und zählte die Wasser tropfen, die in unerträglicher Gleichförmigkeit von der Decke zu Boden fielen. Plop, plop, plop ... Er hatte den Glauben an seine Befreiung verloren. Zu oft hatte er sich falschen Hoffnungen hingegeben, wie die anderen Häftlinge auch, und jedes Mal waren ihre Hoffnungen zerplatzt wie die Wassertropfen beim Aufprall in der Pfütze. Plop, plop, plop ... Einmal hatte es geheißen, die christlichen Kaufleute von Ancona würden beim Papst in Rom um ihre Freilassung bitten und wären sogar bereit, eine große Summe Geld zu bezahlen, um ihrer Forderung Gehör zu verschaffen. Dann wollte jemand wissen, eine Schar bewaffneter Juden wäre in der Stadt, die einen Angriff plane, um das Gefängnis zu stürmen und die Gefangenen zu befreien. Sogar von einem unterirdischen Tunnel, der angeblich zur Stadt hinausführte, war die Rede gewesen. Doch der Ausbruch der Galeerenhäftlinge war die einzige Ausnahme geblieben, durch den ein paar ihrer Glaubensbrüder mit dem Leben davongekommen waren. Alles andere waren nur Gerüchte: Wunschträume der Häftlinge, die sich des Nachts gegenseitig Mut zusprachen, um bei Tage nicht an der Hoffnungslosigkeit zugrunde zu gehen, noch bevor die Dominikaner mit ihren Schergen kamen, um sie auf den Richtplatz zu führen. Plop, plop, plop ...
    José versuchte zu beten, aber er konnte es nicht. Die Worte des Schma Jisrael zerfielen ihm auf den Lippen wie modrige Pilze. Welcher Teufel hatte ihn geritten, sich beschneiden zu lassen? Hätte er noch das Stückchen Haut an seinem Glied - niemals hätte man ihn der Juderei überführt. Verzweifelt zerrte er an seiner Kette. Er hatte nie wirklich an Gott geglaubt. Jetzt hatte Gott keinen Grund, ihm beizustehen.
    Siebentausendvierhundertdreiundachtzig, siebentausendvierhundertvierundachtzig, siebentausendvierhundertfünfundachtzig ... Während er wieder Zuflucht zum Stumpfsinn der Zahlen nahm, starrte er auf die zerbrochenen Gitterstäbe des Vogelkäfigs. Ob die Taube wohl in Konstantinopel angekommen war? Die Vorstellung, Reyna würde vielleicht in diesem Augenblick seinen Brief lesen und wüsste, dass ihr seine letzten Gedanken galten, gab ihm Kraft.

Weitere Kostenlose Bücher