Die Gottessucherin
Damit wir endlich heiraten können. Das ist mein einziger Wunsch.« »So sehr liebst du ihn?« Gracia nickte ihr zu. Sie hätte dieselbe Antwort gegeben, wenn Francisco noch am Leben gewesen wäre. »Was würdest du sagen, wenn Tristan aus Lyon zurückkäme?« »Du meinst - hierher? Nach Lissabon?« »Ja«, sagte Gracia. »Würdet ihr dann bei mir bleiben?« Brianda strahlte. »Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen«, rief sie und gab ihr einen Kuss. »Dann wären wir alle zusammen, die ganze Familie. Du und Vater und Tristan.« »Und Reyna?«, fragte José. »In der Kanzlei gibt es Gerüchte, dass Dom Jono sie schon bald an den Hof rufen will, als Kammerfrau der Königin.«
»Ein Kind als Kammerfrau?«, fragte Rabbi Soncino. »Reyna ist gerade erst sieben geworden!«
»Na und? Selbst wenn sie noch nicht laufen könnte - als Kammerfrau ist sie ein Faustpfand des Königs, und lebt sie erst am Hof, kommen wir hier nie mehr fort.«
»Jedes Ding hat zwei Seiten«, sagte Gracias Vater. »Wenn wir uns entscheiden, hierzubleiben, wäre eine solche Verbindung zum Königshaus sogar ein Vorteil. Dom Jono wäre unserer Familie persönlich verpflichtet. Unter seinem Schutz würde niemand wagen, sich an uns und unserem Besitz zu vergreifen.« »Und was ist mit dem Testament?«, fragte José. »Dom Francisco hat verfügt, dass wir nach Antwerpen auswandern sollen. Bislang konnten wir das nicht, aber jetzt ist die Gelegenheit da! Wir haben einen Teil des Vermögens schon in Diamanten umgewandelt, die können wir mitnehmen, und in Antwerpen wartet Dom Diogo auf uns. Ist es nicht unsere Pflicht, Dom Franciscos Willen zu erfüllen?«
Gracias Vater zögerte, nachdenklich rieb er sich das Kinn. »Das kann nur ein Mensch beantworten«, sagte er schließlich. Alle drehten sich zu Gracia herum und schauten sie an. Mit welcher Leidenschaft hatte sie früher, vor ihrer Hochzeit, dafür gekämpft, selbst über ihr Leben zu entscheiden. Doch jetzt, als Witwe von sechsundzwanzig Jahren, empfand sie diese Freiheit als eine übergroße, erdrückende Last.
»Du bist das Oberhaupt der Familie«, sagte ihr Vater. »Was wirst du tun?«
38
Pfingsten lag in diesem Jahr so spät wie selten, und es herrschte fast schon sommerliche Hitze, als sich die Christen und Scheinchristen von Lissabon einmütig in der Kathedrale Sé Patriarcal versammelten, um die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel mit einem Hochamt zu feiern.
Zusammen mit ihrer Tochter betrat Gracia das Gotteshaus. Als könnte es gar nicht anders sein, tauchte Reyna ihre Hand in das Weihwasserbecken und bekreuzigte sich.
»Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.«
Einmal mehr erschrak Gracia darüber, wie selbstverständlich ihrer Tochter das fremde Ritual längst geworden war. Doch während sie in den dichtgefüllten Reihen nach einem freien Platz suchte, regten sich in ihr zugleich die Zweifel, die sie in letzter Zeit so oft beschlichen hatten. Kam es auf die paar Tropfen Wasser wirklich an? Lohnte es sich, seine Heimat oder gar sein Leben zu opfern, nur um die Berührung damit zu vermeiden? Von allen Seiten nickte man Gracia zu, Conversos, die wie sie zur Wahrung des Scheins die Messe besuchten, christliche Kaufleute und ihre Frauen, die sich mit ihren Fächern kühlende Luft zuführten, Beamte der Hofkanzlei in ihren goldbetressten Uniformen, vor allem aber vornehme portugiesische Adelsmänner, die sich auf Geheiß des Königs um ihre Gunst bemühten. Die Orgel brauste auf, und der Bischof von Ceuta, der neue Großinquisitor, zog an der Spitze festlich gekleideter Priester und Messdiener vor den Hauptaltar, um das Hochamt zu zelebrieren.
Gracia hatte keinen Sinn für den prunkvollen Gottesdienst. Sie empfand nur eine entsetzliche Müdigkeit. Seit Franciscos Tod war ihr Leben ein einziger Kampf. Das Testament, das sie zusammen mit ihrem Schwager Diogo zur Erbin der Firma Mendes bestimmte, hatte die Begierde des Königs geweckt. Die Zeit der Schiwa, die sieben ersten Trauertage, war noch nicht vergangen, da hatte Dom Jono bereits eine Aufstellung all ihrer Besitztümer verlangt und zugleich ihr Vermögen unter Beschlag genommen, bis seine Forderung erfüllt wäre. Fortan wies er jede Liste, die sie bei Hofe einreichte, als unvollständig zurück. Und erhob sie Protest, so wurde ihr beschieden, sie brauche nur einen seiner Höflinge zu erhören, um ein für alle Mal ihrer Sorgen enthoben zu sein. Als hätte es Francisco nie gegeben, als
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