Die Gottessucherin
»Weihwasser ... Sie haben mich schon als Kind damit getauft ... auf der Prack do Rossi ... Ich ... ich will nicht auch noch ... damit sterben ...«
Mit dem Kissen in der Hand stand Gracia da, über sein Bett gebeugt, unfähig, sich zu regen. Ja, sie wusste, worum er sie bat ... Er war nicht der erste Jude, der einen Angehörigen um diesen Dienst bat, aus Angst vor den Sterbesakramenten der Christen, aus Angst vor einem fremden, bösen Himmel ... Alle Kraft schwand aus ihrem Körper, sie fühlte sich so hilflos und allein, als gäbe es sonst niemanden mehr auf der Welt, nur noch Francisco und sie. Kein Geräusch drang an ihr Ohr, nur hin und wieder sein Stöhnen. Nein. Sie konnte ihn nicht töten. Er war ihr Mann, der Mensch, den sie liebte, mehr als ihr eigenes Leben ... Gracia überfiel ein Frösteln, als sie seine Augen sah. So hatte er sie schon einmal angeschaut, vor vielen Jahren, in ihrer Hochzeitsnacht.
»Siehe ... meine Freundin«, flüsterte er, »du bist schön ... Siehe ... schön bist du ...«
Sein Blick tastete ihr Gesicht ab, liebkoste ihre Wangen, küsste ihren Mund.
Gracia krallte ihre Hände in das Kissen. Wie sollte sie diese Augen länger ertragen? Alle seine Gefühle sprachen aus ihnen -seine Liebe, seine Verzweiflung, seine Todesfurcht. Und seine stumme und doch so eindringliche Bitte.
»Hab keine Angst«, flüsterte er. »Denk an deinen ... Großvater ... Er hätte es getan ... Du ... du bist genauso stark wie er ... Du stammst von ... König David ab ...«
Noch einmal schloss er die Augen, um Kraft zu schöpfen. Als er sie wieder ansah, lächelte er, ein so schwaches, so zartes, so zerbrechliches Lächeln, dass Gracia wusste, es war das letzte Lächeln, das er ihr schenkte. »Meine Taube ... meine Reine ...«
Es war kaum noch mehr als ein Hauch. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Alles konnte sie ertragen, nur nicht diese Worte. Wie viele Jahre hatte sie Francisco verkannt ... Und wie sehr liebte sie ihn, hatte sie ihn geliebt, würde sie ihn immer lieben ... Behutsam beugte sie sich zu ihm hinab, um ihn zu küssen, seine Stirn, seine Augen, seinen Mund. Tränen strömten über ihre Wangen und benetzten sein Gesicht. »Siehe, der Winter ist vergangen ...« »... der Regen ist vorbei und dahin ...«
Ein letztes Mal berührten sich ihre Lippen, während seine Worte in ihre Seele strömten und ihre Liebe in sein Herz.
»Leb wohl, Gracia ... Ich ... ich liebe dich ...«
»Ich liebe dich auch, Francisco ... Leb wohl, mein Geliebter, leb wohl ...«
Durch den Tränenschleier konnte sie sein Gesicht kaum noch erkennen, wie hinter einem Vorhang verschwammen und verschwanden die vertrauten Züge, immer mehr, während ein süßlich bitterer Geruch in ihre Nase stieg. Ihr Mann, Francisco, war fort. Sie sah nur noch einen Körper, ohne Namen und Gesicht, ein stöhnendes Wesen, das vor ihren Augen hilflos verendete, einen sinnlos gequälten Leib, der beseelt war von dem einen, einzigen Wunsch zu sterben ...
Ohne zu denken, nahm sie das Kissen und drückte es auf sein Gesicht, mit der ganzen Zärtlichkeit, mit der ganzen Verzweiflung ihrer Liebe.
36
Drei Tage nach seinem Tod wurde Francisco Mendes beigesetzt, auf dem Friedhof des Hieronymusklosters von Beiern, das König Manuel zum Dank für die geglückte Indienfahrt Vasco da Gamas gestiftet hatte. Der Hügel war schwarz von Trauergästen, die ganze jüdische Gemeinde der Hauptstadt war auf dem Klosterfriedhof zusammengekommen, um den Verstorbenen auf seinem letzten Weg zu begleiten. Dennoch wurde Francisco Mendes nicht nach dem Glauben seiner Väter bestattet. Man musste den katholischen Schein wahren. Der erste Priester des Königreichs, Kardinal Pessoa, Erzbischof der Diözese Lissabon, leitete die Trauerzeremonie. Gracias Vater hatte dafür gesorgt. »Asche zu Asche, Staub zu Staub ...«
Hand in Hand mit ihrer Tochter Reyna trat Gracia an das Grab. Mit dunkel-hohlem Klang fiel die Erde auf den goldverzierten Sarg. Müde schloss sie die brennenden Augen. Seit seinem Tod hatte sie keine einzige Träne mehr vergossen. Immer wieder sah sie Franciscos Gesicht, seinen verzweifelten, flehenden Blick, der nur von einer Hoffnung beseelt war. Wäre er vielleicht noch am Leben, wenn sie ihm seinen Wunsch verweigert hätte? Dankbar fühlte sie Reynas Hand in der ihren, den Druck der kleinen Finger.
»Was auch immer geschieht«, flüsterte sie, »ich werde dich zu deinen Vätern bringen.«
Jeder Jude, so verlangt es das Gesetz, muss am
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