Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
darüber«, Schra
stampfte zur Unterstreichung ihrer Worte auf, »wie vorsätzlich falsch diese Magierin den Verlauf der Ereignisse
und die Menschen, die uns umgeben, dargestellt hat.
Wenn da erst eine Fünfjährige kommen muß, um Euch
die Wahrheit zu zeigen, dann sollte Euch das zu denken
geben«, schloß sie etwas kindlich.
Doch den Waldläufern kam Schra jetzt nicht mehr wie
ein kleines Mädchen vor. Sie strahlte sehr viel Selbstsicherheit und Zorn aus, als sie jetzt auf die alte Magierin
zu schritt. Davor wich sogar Brode einen Schritt zurück.
Was hatte den Wandel in dem Mädchen bewirkt? Die
Wiedererweckung, als sie dem Tod schon so nahe gewesen war?
Barsarbe starrte das Mädchen aus ihren dunklen Augen kalt an.
Schra ließ sich davon nicht einschüchtern. »Der Erdbaum sei mein Zeuge«, rief sie mit heller klarer Stimme,
»daß ich mich über die anhaltende Weigerung der Awaren gräme, etwas zu unternehmen, daß ich mich dafür
zutiefst schäme. Seid Ihr denn nicht stolz auf Axis und
Aschure, weil sie unter großen Opfern soviel für unsere
Sache erreicht haben? Läßt es Euch völlig kalt, daß die
Ikarier soviel Blut vergossen haben, um die Freiheit für
sich und für uns zu erkämpfen?«
»Wir sind eben ein friedliebendes Volk!« erwiderte
Barsarbe.
»Nein, Narren sind wir!« schrie Schra außer sich vor
Zorn, der sich nicht allein gegen die Magierin, sondern
gegen alle Waldläufer richtete. »Wir klammern uns wie
besessen an den Glauben, ein friedliebendes, die Gewalt
verabscheuendes Volk zu sein. Dabei greifen wir sofort
zu Gewalt, wenn uns das sinnvoll erscheint. Barsarbe
verdammt Aschure, weil angeblich etwas Gewaltsames
an ihr sei. Aber habt Ihr nicht alle die Gewalt gespürt, als
kürzlich die Bäume mit Macht über das Land fegten?
Hörtet Ihr nicht den Tod, von dem der neue Wald sang?
Und angeführt wurden sie dabei vom Erdbaum, der sich
jetzt so friedvoll hinter mir erhebt!«
»Die Bäume vernichteten nur unsere Feinde, die Skrälinge!« erwiderte Barsarbe ebenso wütend.
»Aber Aschure tut genau das gleiche!« entgegnete
Schra, so laut sie konnte. »Wie könnt Ihr es wagen, Euch
hierhin zu stellen und vorgeben, Aschures Taten in
Smyrdon hätten Euch angewidert? Vielmehr hat die Jägerin dort Euer Leben gerettet, genauso wie das meine
und das von Faraday. Awaren, hört meine Worte: Aschure hat um unseretwegen Artor den Pflüger erschlagen und
die Baumfreundin vor Ihm beschützt. Wenn wir heute
auch weit jenseits der Grenzen Awarinheims auf Wälder
stoßen, dann haben wir das Faraday zu verdanken, aber
auch der Hilfe der Jägerin. Habt Ihr etwa schon das Blutbad zu Jultide vergessen? Und damit auch diejenige, die
damals soviel unternahm, um uns zu retten?«
»In unseren Wäldern sind wir sicher«, stellte die Magierin fest. Sie stand kurz vor einem Wutausbruch und
hätte Schra am liebsten geschlagen. Doch sie wußte, daß
sie dann alle gegen sich hätte.
»Unsere Wälder, Barsarbe?« Tränen traten dem Mädchen in die Augen. »Diese Wälder gehören uns nicht.
Vielmehr dulden sie unsere Anwesenheit. Wenn Awarinheim und Bardenmeer anderen Wesen gestatten, die Füße
auf ihre Pfade zu setzen, wer sind dann wir, daß wir es
ihnen verbieten wollten?«
»Wir sollen den Ebenenbewohnern erlauben, unseren
Wald mit uns zu teilen?« Die Magierin packte Schra am
Arm und schüttelte sie. »Jetzt habe ich aber endgültig
genug von Eurem törichten Geplapper!«
Grindel sprang auf. »Barsarbe, laßt sofort meine Tochter los! Ich habe ihre Ansprache gehört, und ich muß gestehen, daß sie mich beschämt hat. Und Euch vielleicht
auch! Gorgraels Mutter war eine der unseren, und deswegen sind wir gemeinsam mit dem Volk des Pfluges
und dem Volk des Flügels verantwortlich dafür, ihn zu
vernichten.« Während er sprach, war er vorgetreten, legte
nun die Hände auf Schras Schultern und versuchte, sie
von der Magierin fortzuziehen.
Aber Barsarbe war noch lange nicht mit dem Mädchen
fertig. Sie krallte ihre Finger in den Oberarm der Kleinen, und Schra schrie vor Schmerzen.
»Um der Liebe der Mutter willen …« begann ihr Vater, aber Barsarbes Gesicht verzerrte sich vor Haß, und
sie schrie ihn nieder.
»Dieses Mädchen hat man zu lange frei und unbeaufsichtigt herumlaufen lassen, Grindel! Ich werde eine
Weile mit Eurem Klan wandern müssen, um sicherzustellen, daß Schra die Zucht und Erziehung erhält, derer sie
so dringend bedarf!«
Grindel ließ seine Tochter los und
Weitere Kostenlose Bücher