Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
war mit der Probe? Oder merkte sie einfach gar nicht,
daß sie der Probe bereits unterworfen wurde? Aber warum sich Sorgen machen? Ramu brachte sie in Sicherheit,
und damit war die Zukunft der Awaren gerettet.
Dann blieb der Hirsch so unvermittelt stehen, daß sie
beinahe hingefallen wäre. Als sie einen Blick um sich
warf, blieb ihr fast der Atem stocken, und sie machte
schnell einen Schritt rückwärts. Ein gähnender Abgrund
tat sich vor ihr auf.
Zwei Brücken spannten sich darüber, deren jeweiliges
Ende im Nebel verschwand.
Sie blinzelte und sah Ramu verwirrt an. Welche soll
ich beschreiten?
Er stieß sie wieder mit der Schnauze an, und in seinen
Augen zeigte sich nichts als Liebe für sie.
Die Wahl müßt Ihr ganz alleine treffen, antwortete eine
Stimme in ihrem Kopf, und sie besah sich die Brücken.
Keine von beiden wirkte jetzt im Nebel verloren.
Die Brücke zu ihrer Linken erinnerte an die duftenden
und schattigen Brücken Awarinheims. Noch während sie
hinsah, flog ein Vogel über sie hinweg, dessen fröhliches
Tschilpen aus dem Wald zurückgeworfen wurde. Der
Vogel schien sie zu rufen. An ihrem Ende breitete sich
eine Lichtung aus, und dort sah sie Tänzer bei einem
Feuer. Sie betrachtete sie, bis einer von ihnen den Kopf
wandte und sie entdeckte. Er blieb stehen und streckte
eine Hand aus. Seine Finger schienen ihr zuzuwinken.
Sie erkannte Axis in ihm.
Dann nahm sie die Brücke rechterhand in Augenschein.
Diese ähnelte einem langen Eistunnel. Merkwürdige
Wesen bewegten sich hinter den halb durchsichtigen
Wänden. Am Ende des Tunnels befand sich eine Tür,
und als sie sie betrachtete, öffnete sie sich. Baumfreundin
trat heraus, lächelte ihr zu und streckte eine Hand nach
ihr aus. Doch da ragte ein Schatten hinter Faraday auf,
und eine klauenbewehrte Hand legte sich auf ihre Schulter. Die Edle seufzte und trat wieder zurück. Da schloß
sich die Tür.
Sie traf ihre Wahl, umschlang den Hals des Hirsches,
um sich bei ihm zu bedanken.
Dann betrat sie die Brücke, die zu Axis führte.
Sie stolperte durch den Nebel, ihre Hand lag fest auf dem
Hals des weißen Hirsches. Und auch jetzt blieb er plötzlich stehen, und sie fiel auf die Knie. Vor ihr ging es steil
hinab, und über diese Untiefe spannten sich zwei Brükken.
Die Wahl müßt Ihr ganz alleine treffen, beschied sie
die Stimme in ihrem Kopf.
Die linke Brücke führte zu einer der duftenden und
schattigen Lichtungen Awarinheims. Zwei Zelte waren
dort aufgebaut, und davor prasselte ein Lagerfeuer. Einige Personen saßen daran. Noch während sie hinsah, drehte sich eine um und entdeckte sie. Der Gehörnte mit dem
Silberpelz. Er streckte die Arme nach ihr aus und rief sie.
Sie wandte sich der anderen Brücke zu.
Dieser Steg führte mitten hinein in einen so heftigen
Schneesturm, daß sie in seinem Wirbeln keine Einzelheiten erkennen konnte. Dann fuhr ein mächtiger Windstoß
zwischen die Flocken, und sie blickte in die Tiefen eines
merkwürdigen Gemaches, wo verdrehte Möbel in unmöglichen Winkeln an den Eiswänden hingen. Ein Mann
in einem dunklen Umhang stand am Kamin, und sie spürte sein Lachen eher, als daß sie es hörte. Er stand mitten
in einer Blutlache.
Sie traf ihre Wahl.
»Ich dank Euch«, flüsterte sie dem Hirsch zu, lächelte
traurig und bewegte sich auf den Mann im Blut zu.
»Tretet zurück!« rief die Frau, und die Magier, welche
die beiden reglosen, an den Erdbaum gebundenen Awarinnen umstanden, gehorchten. Nur wenige unter ihnen
hatten die Frau jemals zu Gesicht bekommen, und doch
wußten alle, wer sie war.
Faraday, die Baumfreundin.
Sie trat näher an das Heiligtum heran. Sie war sehr
schmal; vielleicht war das auf ihre anstrengende Arbeit
für das Bardenmeer zurückzuführen, und doch bot sie
immer noch einen lieblichen Anblick. Ihr prachtvolles
kastanienbraunes Haar hing ihr bis auf den Rücken hinab, und ihre grünen Augen blickten feierlich und wissend. Die Edle trug ein Gewand, dessen Stoff die Magier
an das Smaragdgrün erinnerte, das entstand, wenn Sonnenlicht durch das Laub des Erdbaums flirrte und tanzte.
Faraday sah aus, so berichtete später einer der Magier
den Awaren, wie der Wald selbst.
Die Edle trat vor Barsarbe und kniete neben ihr nieder.
Sie hob den Kopf der Magierin und strich ihr die Haare
aus dem Gesicht.
»Ihr habt eine schlechte Wahl getroffen, meine Liebe«,
sprach sie unbewegt, drehte sich zu den anderen Magiern
um und ließ das Haupt Barsarbes los. Es viel nach
Weitere Kostenlose Bücher