Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2
Mürbes. Ich ließ meine Stablampe aufflammen und erkannte in ihrem Strahl, dass meine Umgebung mit Knochen übersät war – allerorts häuften sich menschliche Skelette. Sie mussten schon sehr alt sein, denn bei bloßer Berührung zerfielen sie zu Staub.
Dieser Ort glich einer riesigen Grabkammer. Nach einer Weile, während ich mich im Schein der Stablampe umsah, stieß ich auf die Stufen, die zum verbarrikadierten Zugang der Gruft führten. Doch wenn überhaupt je ein Schatz bei den Toten zurückgelassen worden war, musste er schon vor langer Zeit entwendet worden sein. Ich tappte inmitten der Knochen und des Staubs umher und kam mir dabei fast wie ein Ghoul vor … Doch konnte ich nichts Wertvolles entdecken, noch nicht einmal einen Armreif oder einen Fingerring an irgendeinem der Gerippe.
Erst als ich mich anschickte, wieder hinauf ins Freie zu klettern, wurde mir das wahre Grauen gewahr. Die menschlichen Gebeine machten mir nicht allzu viel aus: Sie lagen in ruhiger Pose da, wenn auch arg gedrängt, und dem Anschein nach waren ihre Besitzer eines natürlichen Todes gestorben – soll heißen: eines Todes, den wir als natürlich betrachten.
Dann hob ich in einer Mauerecke – es war jener Winkel der Totenkammer, der dem Loch in der Decke am nächsten lag – den Blick. Und da sah ich es … umsponnen von Schatten schwebte es gut drei Meter oberhalb meines Kopfes nahezu frei in der Luft. Als ich am Seil hinabgeklettert war, hatte ich es unbemerkt beinahe gestreift.
Beim ersten Hinsehen glich es irgendeinem grausigen Flechtwerk. Bei genauerer Betrachtung zeigte sich jedoch, dass dieses Geflecht zum Teil aus menschlichen Knochen bestand – ich erkannte ein vollständiges Skelett, sehr groß und kräftig, ähnlich dem Knochengerüst eines Kriegers. Ich hätte mich gar nicht weiter daran gestört, hätte es auf irgendeine normale Weise dort gehangen – hätte es etwa an Eisenketten gebaumelt oder wäre einfach an die Mauer geschlagen gewesen.
Das Grauen ging vielmehr von dem Ding aus, das dem Schädel entspross – diesem weißen, verdorrten Gebilde, ähnlich einem fantastischen Doppelgeweih, dessen zahlreiche Enden in eine Vielzahl langer, faseriger Ranken ausliefen, welche die Wand überwucherten und in die Höhe geklettert waren, bis sie die Decke der Grabkammer erreichten. Sie mussten das Skelett oder den Menschenleib mit sich emporgezogen haben, während sie nach oben krochen.
Ich ließ den Strahl meiner Stablampe über das Gebilde streichen. Dabei entdeckte ich weitere Schrecklichkeiten. Das Ding musste pflanzlichen Ursprungs gewesen sein und hatte offenbar innerhalb des Schädels zu wachsen begonnen. Einige der Triebe sprossen aus dem geborstenen Schädeldach hervor, andere wucherten durch Augenhöhlen und Nasenlöcher, um sich anschließend nach oben zu verästeln.
Die Wurzeln des gotteslästerlichen Etwas hingegen hatten sich abwärtsgestreckt und dabei um jeden einzelnen Knochen geringelt. Sogar die äußersten Finger- und Zehenglieder waren von diesen Wurzelsträngen umrankt, die als korkenzieherförmige Spiralen herunterbaumelten. Doch das Schlimmste von allem war: Jene Stränge, die von den Zehenspitzen ausgingen, waren in einen zweiten Schädel eingewachsen, der direkt darunter hing – mitsamt den Überresten von abgerissenem Wurzelwerk. Etwas tiefer, auf dem Boden des Mauerwinkels, lag ein Häuflein herabgefallener Knochen, aber mir war in diesem Moment nicht danach zumute, es näher in Augenschein zu nehmen.
Irgendwie fühlte ich mich bei dem Anblick ein wenig unwohl – und mehr als nur ein wenig angeekelt – angesichts dieser unerklärlichen Vermengung des Menschlichen mit dem Pflanzlichen. In fieberhafter Eile begann ich mich an dem Kletterseil hinaufzuhangeln, um wieder ins Freie zu gelangen. Doch faszinierte mich das Gebilde in seiner Widerwärtigkeit und so konnte ich nicht widerstehen, auf halber Höhe innezuhalten, um es erneut zu betrachten. Vermutlich beugte ich mich zu hastig in seine Richtung, denn das Seil begann zu schwingen, weshalb mein Gesicht flüchtig mit den leprösen, geweihförmigen Auswüchsen oberhalb des Totenschädels in Berührung kam.
Etwas platzte dabei auf – was genau, weiß ich nicht –, vielleicht eine Schote oder Samenkapsel an einer der Ranken. Jedenfalls war mein Kopf plötzlich eingehüllt von einer Wolke perlgrauen, schwerelosen und sehr feinen Staubs, dem keinerlei Geruch anhaftete. Das Zeug setzte sich auf meinen Haaren ab, geriet mir in die Nase
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