Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2

Die Dämpfe entstehen beim Verbrennen eines aromatischen Seegrases und die wiederbelebende Wirkung sucht ihresgleichen.«
    Alvor versuchte zu begreifen, was er da hörte, doch war sein Gehirn noch zu kaum mehr in der Lage, als ein Gewirr völlig neuer, völlig fremder und obskurer Eindrücke wahrzunehmen. Während er noch über Vizaphmals Worte nachsann, sah er, dass helle Lichtstrahlen zwischen den Säulen hindurchfielen und langsam über den Boden krochen. Dann senkte sich der Kranz einer gewaltigen bernsteinfarbenen Sonne bis unter den Rand der Kuppel hinab und Alvor empfand eine überwältigende, allerdings keinesfalls unerträgliche Wärme. Seine Augen hatten aufgehört zu schmerzen, noch nicht einmal die direkte Sonneneinstrahlung vermochte ihnen wehzutun. Auch die Düfte empfand er nicht länger als störend.
    »Ich glaube«, sagte Vizaphmal, »Sie können nun aufstehen. Der Nachmittag ist bereits erreicht und es gibt noch viel zu tun und vieles, was Sie erfahren müssen.«
    Alvor schlug sein gelbes Laken zurück und setzte sich auf. Seine Beine baumelten über die Sofakante.
    »Und meine Kleider?«, wollte er wissen.
    »Die benötigen Sie in unserem Klima nicht. In Satabbor hat noch nie jemand Kleider getragen.«
    Das musste Alvor erst einmal verdauen. Doch obwohl es ihm etwas Unbehagen bereitete, entschloss er sich dazu, sich an alles zu gewöhnen, was auch immer man von ihm verlangen sollte. In der trockenen, drückend heißen Luft dieser neuen Welt erschien ihm das Fehlen seiner gewohnten Kleidung jedenfalls keineswegs unangenehm.
    Er glitt vom Sofa auf den Fußboden nahezu anderthalb Meter unter ihm und tat ein paar Schritte. Ihm war weder schwindlig noch fühlte er sich, wie er schon beinahe befürchtet hatte, zu schwach. Dafür wurden jedoch all seine Bewegungen von einem Gefühl ungeheurer körperlicher Schwere begleitet, das er bereits in seinem halb ohnmächtigen Zustand vage wahrgenommen hatte.
    »Die Welt, in der Sie nun leben, ist etwas größer als Ihre eigene«, erklärte Vizaphmal. »Entsprechend ist auch die Schwerkraft höher. Ihr Körpergewicht übersteigt das auf der Erde um gut ein Drittel. Ich bin aber davon überzeugt, dass Sie sich bald daran gewöhnen werden, wie auch an all die anderen Umstände, die neu für Sie sind.«
    Er bedeutete dem Dichter, ihm zu folgen, und ging voran durch den Teil des Pavillons, der sich hinter Alvors Rücken befunden hatte, solange dieser auf dem Sofa gesessen hatte. Wie eine Brücke schraubte sich von dem Pavillon aus eine Wendeltreppe hinauf zu einem wesentlich größeren Gebäude – einem regelrechten Palast, in dessen Mitte ein zentrales, von einer kreisrunden, mit zahllosen Spitztürmchen gekrönten Mauer umgebenes Bauwerk stand. Davon zweigten unzählige Flügel und in demselben Stil mit Säulen und Kuppeln errichtete Anbauten ab.
    Unter der Brücke sowie rings um den Pavillon und das gesamte darüber aufragende Bauwerk erstreckten sich Gärten voller Bäume und Blumen, die Alvor an die Dinge erinnerten, die er während seines ersten und einzigen Experiments mit Haschisch gesehen hatte. Das Laubwerk der Bäume war teils sehr fein, dünn wie Haar, teils wies es riesige halbkugel- und scheibenartige Formen auf, die von waagrechten Zweigen hingen und an eine neuartige Verbindung von Frucht und Blatt denken ließen. Nahezu alle Farben, selbst Grün, waren in Rinde und Laub dieser Bäume vertreten. Die Blumen glichen zumeist jenen, die Alvor von dem Pavillon aus gesehen hatte, doch gab es auch andere mit kurzen, stämmigen Stielen ohne jedes Blattwerk, dafür mit bösartig anmutenden, schwärzlich violetten Köpfen voller blutroter Mäuler. Unentwegt schwankten sie hin und her, ohne dass sich ein Lüftchen regte. Alvor sah oval angelegte Teiche und Bachläufe, die dunkles, hin und wieder in allen Regenbogenfarben schillerndes Wasser führten. Sie schlängelten sich durch den Garten, der gemeinsam mit dem Säulenbau die Mitte eines kleinen Plateaus einnahm.
    Während Alvor seinem Führer die Brücke entlang folgte, erhaschte er einen Blick auf die Landschaft. In perfekter Geometrie zeichneten sich als Rhomben, Recht- und Dreiecke Berge und Ebenen ab, dazwischen ein riesiger See, vielleicht auch ein Binnenmeer. In weiter Ferne, wohl mehr als hundert Kilometer entlegen, sah er die glänzenden Kuppeln und Türme einer barocken Stadt, auf die sich nun das gewaltige Rund der Sonne hinabsenkte. Als er diese Sonne betrachtete und sie zum ersten Mal in vollem