Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2
während seiner in Australien verbrachten Jugendjahre völlig unbemerkt in ihm geschlummert hatte. Ihre Porträts, die aus den beharrlichen Schatten der langen Halle auf ihn herabstarrten, in der die Ahnengalerie hing, kamen ihm wie altvertraute Gesichter vor.
Der Herrensitz war angeblich in der Regierungszeit Heinrich VII. errichtet worden. Moos und Flechten bedeckten seine alten Mauern und ihre verwitterten Steine zeigten Anzeichen beginnenden Verfalls. Den französischen Garten hatte mangelnde Pflege leicht verwildern lassen, die beschnittenen Hecken und Bäume hatten fantastisch wuchernde Formen angenommen und üble, giftige Unkräuter eroberten die Rabatten. Im Gebüsch standen Statuen aus gesprungenem Marmor und vom Grünspan zerfressener Bronze; es gab Springbrunnen, die schon lange ausgetrocknet waren und Sonnenuhren, auf die kein Sonnenstrahl mehr durch das dichte Laubwerk fiel.
Auf alledem lastete eine Aura schattenschweren Alters und unterschwelliger Melancholie. Doch obwohl er nie etwas anderes gekannt hatte als sein einfaches australisches Lebensumfeld, fühlte Hagdon sich völlig zu Hause in dieser vielschichtigen Atmosphäre der Alten Welt – einer Atmosphäre, die aus den scheidenden Gespenstern einer tausendjährigen Vergangenheit bestand, aus den Atemzügen toter Männer und Frauen, aus Liebes- und Hassgefühlen, die in Staub versunken waren. Anders als er erwartet hatte, verspürte er keinerlei Sehnsucht nach dem fernen Land, in dem er geboren und aufgewachsen war.
Sir Roderick lernte die sonnenlosen Gärten und in die Höhe strebenden Eiben zu lieben. Doch mehr noch als von diesen fühlte er sich vom Herrenhaus selbst in seinen Bann gezogen, von der Halle mit den Ahnenbildnissen und der finsteren, staubigen Bibliothek, in deren Räumlichkeiten er ein erstaunliches Sammelsurium seltener Folianten und Manuskripte entdeckte. Sie enthielt zahlreiche Erstausgaben elisabethanischer Dichter und Dramatiker, und dazwischen fanden sich in sonderbarem Durcheinander alte Bücher über Astrologie und Zauberei, über Dämonologie und Hexenkunst. Ohne zu wissen, warum, schauderte Sir Roderick ein wenig, als er die Seiten einiger dieser Grimoires umblätterte, von deren Pergamenten ein Geruch in seine Nase stieg, der an den Moder aus Grüften gemahnte. Hastig schlug er sie zu, auch die Erstausgaben reizten ihn nicht – doch verweilte er lange bei gewissen familiengeschichtlichen Werken und handschriftlichen Aufzeichnungen über das Geschlecht der Hagdons, erfüllt von einem sonderbaren Verlangen, so viel wie möglich über seine schattenumwobenen Ahnen in Erfahrung zu bringen.
Als er die Aufzeichnungen durchforstete, fiel ihm die Kürze auf, mit der ein älterer Sir Roderick Hagdon abgehandelt wurde, der im frühen siebzehnten Jahrhundert gelebt hatte. Sämtliche übrigen Familienmitglieder der direkten Abstammungslinie waren in einiger Ausführlichkeit gewürdigt worden; ihre Taten, ihre Eheschließungen und ihre diversen Ansprüche auf Ruhm und Ehre (häufig in der Eigenschaft als Soldaten oder Gelehrte) wurden für gewöhnlich mit geradezu prahlerischem Pathos breit getreten. Doch in Bezug auf Sir Roderick fanden lediglich die nackten Geburts- und Todesdaten Erwähnung sowie die Tatsache, dass er der Vater eines gewissen Sir Ralph Hagdon war. Seine Frau kam mit keinem einzigen Wort vor.
Wenn auch kein greifbarer Grund für mehr als nur einen flüchtigen Argwohn vorlag, erstaunten diese eigenartigen und womöglich unheilvollen Auslassungen den gegenwärtigen Sir Roderick sehr und brachten ihn nachhaltig ins Grübeln. Seine Neugier wuchs noch, als ihm auffiel, dass die Ahnengalerie kein Porträt Sir Rodericks enthielt, ebenso wenig wie eines seiner geheimnisvollen, ungenannten Gattin. Es gab noch nicht einmal eine Lücke zwischen den Bildnissen von Sir Rodericks Vater und seinem Sohn, die darauf hätte schließen lassen, dass ein solches Porträt einst vorhanden gewesen war. Der neue Baronet fasste den Entschluss, das Geheimnis, falls irgend möglich, zu lüften. Mittlerweile hatte sich eine unbestimmte, aber drängende Unruhe seiner Neugier zugesellt. Es wäre ihm nicht möglich gewesen, seine Empfindungen näher zu bestimmen – doch das Leben und das Schicksal seines unbekannten Vorfahren schienen eine besondere Bedeutung für ihn zu gewinnen und ihn in einer Weise anzugehen, die auf unfassliche Art persönlich und intim war.
Bisweilen beschlich ihn das Gefühl, dass seine Besessenheit von diesem
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