Die Grabräuber
Bord«, sagte er.
Wir erwiderten den höhnischen Gruß nicht. Beide verspürten wir keine Lust, uns auf eine Konversation mit diesem Typen einzulassen. Wie gefährlich er war, hatte er dadurch bewiesen, dass es ihm gelungen war, Quen und seine Organisation auszutricksen. Dazu gehörte schon etwas.
»Und ihr lebt noch immer«, sagte der Chinese, »trotz des Pfeils. Das sollte euch zu denken geben.«
»Du weißt schon, weshalb du es getan hast«, erwiderte Suko. »Bestimmt nicht aus Menschenfreude.«
»Nein, ich hatte meine Befehle.«
»Und wer gab sie dir?«
»Irgendwie scheint dein Ahnherr einen Narren an dir gefressen zu haben, Suko. Bevor er dich in die Hölle schickt, will er noch mit dir reden. Ich hätte anders gehandelt.«
Das konnten wir uns gut vorstellen, hielten jedoch den Mund, denn der Mann über uns bewegte sich drehend zur Seite. Dann bückte er sich und hob etwas hoch.
Es war ein zur Rolle gedrehtes Tau. Er schleuderte es in die Tiefe. Wir traten hastig zur Seite, sonst hätte uns das Zeug noch erwischt. So klatschte es neben uns auf die Planken.
»Ihr kennt das Spiel ja«, rief Hiatu nach unten »Hochklettern. Am Brunnen habt ihr es üben können.«
Sich zu weigern, hätte keinen Sinn gehabt. Außerdem waren wir oben viel beweglicher als hier unten. Ich deutete auf Suko. »Los, geh hoch!«
Suko packte das Seil, zog es stramm und hangelte sich in die Höhe. Er hatte sich gut erholt. Die Strecke bereitete dem Chinesen keine Schwierigkeiten.
Oben wurde er von zwei Grabräubern in Empfang genommen. Sie drehten sich so, dass sie meinen Freund in der Zange hatten und er keinen Schritt von der ursprünglichen Richtung abweichen konnte. Ich dachte über den Begriff Grabräuber nach. Irgendwie passte er nicht zu diesen Soldaten. Vom Aussehen einmal abgesehen konnte ich mir kaum vorstellen, dass es sich bei den Soldaten um Grabräuber handeln sollte. Nein, dieser Begriff musste eine andere Bedeutung haben.
»Willst du nicht?« Hiatus Stimme unterbrach meine Gedanken. »Wir können dich auch hier verrecken lassen. Dem großen Mandarin kommt es sowieso nur auf Suko an. Du bist gewissermaßen eine kleine Beigabe.«
»Ich komme schon«, erwiderte ich schnell und packte das Tau. Diesmal war die Strecke kürzer. Ich kletterte aus der Luke und starrte gegen die Spitzen der auf mich gerichteten Pfeile. An Deck hatte man jetzt zwei Laternen angezündet. Ihr rotgelber Schein schaukelte synchron mit den Bewegungen des Schiffes und schuf wandernde Lichtinseln inmitten der Finsternis.
Ich durfte mich hinstellen und konnte an der Steuerbordseite des Schiffes über die Reling schauen. Viel war vom Ufer nicht zu sehen. Die gesamte Umgebung wurde von der Dunkelheit verschluckt. Das Wasser rauschte an der Dschunke vorbei. Ich fragte mich, wer das Ruder hielt, konnte jedoch außer Hiatu keinen Menschen erkennen, nur die steinernen Grabräuber.
Sie hatten einen Kreis um Suko und mich gebildet. Wenn sie jetzt schossen, würden wir sicherlich das gleiche Schicksal erleiden wie der Chinese Wan im Hinterzimmer der Londoner Kneipe.
Hiatu hatte die Hände in den Taschen seiner Jacke vergraben. Vor unseren Augen wanderte er auf und ab, ließ uns dabei nicht aus seinem Blick und lächelte hin und wieder hintergründig. Er führte wohl einen Nervenkrieg, wobei er bei uns an der falschen Adresse war, denn wir bekamen Zeit, uns die Einzelheiten des Decks genau einzuprägen und auch nach einem guten Fluchtweg Ausschau zu halten. Dschunken sind Schiffe, die sehr schwerfällig wirken. Sind sie erst einmal von der Strömung erfasst worden und hat sich das Segel gebläht, nehmen sie auch eine gehörige Portion Fahrt auf, wie wir merken konnten.
Über uns knatterte das Segel. Es war dunkel gebeizt. Fehlte nur noch der Totenschädel darauf.
Das Deck war ziemlich breit. Bis wir an das Schanzkleid gelangten, mussten wir schon einige Meter zurücklegen und würden von den Pfeilen immer getroffen.
Die Grabräuber umstanden uns wie Statuen. Nichts rührte sich in ihren steinernen Gesichtern. Es war kaum vorstellbar, dass überhaupt Leben in ihnen steckte, und doch hatten sie es auf so schreckliche Art und Weise bewiesen.
Wir standen da und warteten ab, welche Gemeinheit sich Hiatu wieder hatte einfallen lassen. Dass er über etwas nachdachte, erkannten wir an seinem verlogenen Lächeln.
»Ich weiß«, flüsterte er, »ihr rechnet euch Chancen aus. Aber das schlagt euch aus dem Kopf. Keine Chance habt ihr. Ihr seid meine Gefangenen
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