Die Graefin Charny
die Tür zu, als ob er gefürchtet hätte, die Königin habe sich nur zum Schein entfernt. Er riß die Tür auf und schaute durch die Vorgemächer und Korridore.
Draußen wartete nur sein Kammerdiener.
»François,« sagte Ludwig XVI., »kennst du die Wohnung des Grafen von Charny?«
»Sire,« antwortete der Kammerdiener, »der Graf von Charny hat eigentlich keine Wohnung, er hat nur eine kleine Dachstube im Flora-Pavillon bezogen.«
»Weißt du, wo die Dachstube ist?«
»Ja, Sire.«
»Nun, so hole mir den Grafen von Charny; ich wünsche ihn zu sprechen.«
Der Graf fand den König in seinem Schlafzimmer. Ludwig XVI. sah sich um, als Charny eintrat.
»Ich habe Sie in einer wichtigen Angelegenheit zu mir bitten lassen,« sagte der König, »aber ich bin gerade beim Frühstück, und beim Essen spreche ich nicht gern von Geschäften.«
»Wie Eure Majestät befehlen«, antwortete Charny.
»Wir wollen also für jetzt die Geschäfte ruhen lassen und von etwas anderem sprechen ... von Ihnen zum Beispiel. Ich fragte soeben, wo Sie in den Tuilerien wohnten; wissen Sie wohl, lieber Graf, was François mir geantwortet hat? Sie hätten nur eine Dachstube angenommen.«
»Das ist wahr, Sire.«
»Warum denn, Graf?«
»Weil ich allein bin.«
»Lieber Graf, Sie antworten, als ob Sie ein unverheirateter junger Offizier wären.«
»Sire,« antwortete Charny mit Wehmut, »ich glaube nicht, daß sich meine Gemahlin entschließen würde, meine Wohnung mit mir zu teilen.«
»Was bedeutet das? Nach kaum dreijähriger Ehe wohnt der Graf von Charny in den Tuilerien und die Gräfin von Charny in der Rue Coq-Héron!«
»Sire, darauf weiß ich nur zu antworten: die Gräfin wünscht allein zu wohnen.«
»Hören Sie, Graf,« sagte Ludwig XVI. mit jener Gutmütigkeit, die dem Hausvater, wie er sich selbst zuweilen nannte, so gut stand, »das ist zum Teil Ihre Schuld. Sie sind undankbar gewesen gegen das arme Fräulein von Faverney, das Sie so innig liebt.«
»Das mich so innig liebt, Sire? ...« erwiderte Charny mit einiger Bitterkeit. »Verzeihen Sie, haben Eure Majestät nicht gesagt, das Fräulein von Faverney liebe mich?«
»Ich weiß nicht, ob die Zeichen nur für mich allein sichtbar waren, lieber Graf; aber ich weiß, daß die Gräfin Sie in der Schreckensnacht vom 6. Oktober keinen Augenblick aus dem Auge verloren hat und daß alle Herzensangst, die sie empfand, in ihren Augen zu lesen war. Als die Tür meines Zimmers angegriffen wurde, machte die arme Frau eine Bewegung, um sich zwischen Sie und die Angreifer zu werfen.«
Charny war tief bewegt.
»Nun, genug davon ... Ich will während Ihrer Abwesenheit mit der Königin darüber reden«, sagte der König, der sein Frühstück eingenommen hatte und vom Tische aufstand.
»Gehen Sie in mein Kabinett, lieber Graf, ich bin jetzt in der Stimmung, offenherzig mit Ihnen zu sprechen.«
In seinem Zimmer angekommen, sagte Ludwig XVI.: »Herr Graf, mir ist etwas aufgefallen. In der Nacht vom 5. zum 6. Oktober hatten Sie zwischen der Wache bei der Königin und bei mir zu wählen. Sie teilten Ihren Bruder der Königin zu und blieben bei mir.«
»Sire,« erwiderte Charny, »ich bin das Haupt der Familie, so wie Sie das Haupt des Staates sind; ich hatte daher das Recht, bei Ihnen zu sterben.«
»Ich halte Sie für einen treuen Freund«, fuhr Ludwig XVI. fort; »ich glaube Ihnen daher eine geheime und gefahrvolle Sendung ohne Bedenken anvertrauen zu können.«
»O Sire,« sagte Charny mit Begeisterung, »Sie erheben mich zu hoch! Ich habe immer nur nach der Ehre gestrebt, ein treuer Untertan zu sein.«
»Herr Graf, Sie können die jüngsten Ereignisse nicht mit erlebt haben, ohne einen bestimmten Schluß daraus zu ziehen. Wie urteilen Sie über meine Lage und welche Mittel würden Sie mir vorschlagen, sie zu verbessern?«
»Sire,« antwortete Charny, »erlauben Sie mir, ganz frei und offen zu reden?«
»Reden Sie, Graf; wenn ich Sie um Rat frage, so wünsche ich zugleich Ihre Meinung zu vernehmen.«
»Sire, ich habe das Gastmahl in Versailles mißbilligt; ich habe die Königin dringend gebeten, in Ihrer Abwesenheit das Theater nicht zu besuchen; ich war in Verzweiflung, als Ihre Majestät die Kokarde der Nation mit Füßen trat und die schwarze Kokarde aufstecken ließ. Das Volk liebt Sie, das Volk ist für den König; aber das Volk leidet Not, es erhebt sich und wirft alles nieder, was ihm in den Weg kommt, denn es kennt seine Kraft nicht; wenn es einmal losgelassen ist,
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