Die Graefin Charny
der Königin zu Füßen zu fallen; aber seine unerschütterliche Treue zum König bezwang die Liebe zur Königin, die er für erloschen hielt und die fast inniger und glühender als je zuvor wieder aufgelodert wäre. Er eilte zum Zimmer hinaus.
Die Königin sah ihm mit Tränen der Bitterkeit nach und lauschte auf seine verhallenden Schritte im Korridor. Dann zog sie die Glocke. Weber erschien.
»Geh in die Rue Coq-Héron Nummer 9, zu der Gräfin von Charny und sage ihr, daß ich sie heute abend zu sprechen wünsche.«
Marie Antoinette war tief ergriffen, als ihr der Kammerdiener die Gräfin von Charny meldete.
»Ich heiße Sie willkommen, Andrea, wie immer«, sagte sie.
»Wenn Eure Majestät immer so mit mir gesprochen hätten,« erwiderte Andrea mit ihrer gewohnten Offenheit, »so würden Sie nicht nötig gehabt haben, mich rufen zu lassen.«
»Die Antwort ist hart, Andrea,« erwiderte Marie Antoinette, »aber ich habe sie nicht anders verdient.«
Marie Antoinette heftete ihren klaren, forschenden Blick auf die Gräfin.
»Es ist jetzt Zeit, daß wir uns aussprechen,« sagte sie, »und deshalb habe ich Sie rufen lassen ... Sie lieben Ihren Gemahl?«
Andrea wurde leichenblaß, aber sie blieb stumm.
»Sie lieben Ihren Gemahl?« wiederholte die Königin.
»Ja«, sagte Andrea.
Die Königin fuhr auf wie eine verwundete Löwin.
»Oh, ich dachte es wohl!« sagte sie. »Seit wann lieben Sie ihn?«
»Seit der ersten Stunde, wo ich ihn gesehen habe.«
Marie Antoinette wich vor dieser Marmorstatue, die sich eine Seele zuschrieb, erschrocken zurück.
»Und Sie haben geschwiegen?«
»Eure Majestät wissen es besser als irgend jemand.«
»Warum aber schwiegen Sie?«
»Weil ich bemerkte, daß auch Sie ihn liebten.«
»Wollen Sie damit sagen, daß Sie ihn mehr liebten als ich, da ich nichts gesehen habe?«
»Eure Majestät haben nichts gesehen,« erwiderte Andrea mit Bitterkeit, »weil er Sie liebte!«
»Ja ... und ich sehe jetzt, weil er mich nicht mehr liebt ... Das meinen Sie, nicht wahr?«
Andrea schwieg.
»Aber so antworten Sie mir doch«, sagte die Königin; »antworten Sie und gestehen Sie, daß er mich nicht mehr liebt ...«
Andrea antwortete mit keiner Gebärde, nicht durch die leiseste Bewegung. »Das ist zum Rasendwerden!« rief die Königin. »Töten Sie mich lieber auf der Stelle ... Sagen Sie, er liebt mich nicht mehr, nicht wahr?«
»Das kann Ihnen nur der Graf sagen«, antwortete Andrea.
»Er wird Sie gewiß in sein Vertrauen gezogen haben?«
»Nie hat sich der Graf gegen mich darüber ausgesprochen.«
»Auch heute morgen nicht?«
»Ich habe den Grafen heute morgen nicht gesehen.«
Die Königin sah Andrea mit einem Blick an, der tief in ihr Herz zu dringen suchte.
»Sie wollen wohl behaupten, daß Sie von der Abreise des Grafen nichts wissen?«
»Er hat mir geschrieben, Majestät,« sagte Andrea, »hier ist der Brief.«
Marie Antoinette faltete den Brief auseinander, rückte den Armleuchter näher und las:
»Madame!
In einer Stunde verlasse ich Paris auf ausdrücklichen Befehl des Königs.
Ich kann Ihnen nicht sagen, wohin ich gehe und wie lange ich ausbleiben werde. Ich hatte anfangs die Absicht, Ihnen meine Abreise mündlich anzuzeigen, aber ohne Ihre Erlaubnis wagte ich es nicht, Ihnen einen Besuch zu machen.
Für den Fall, daß es mir auf der Reise so ginge wie dem unglücklichen Georges, habe ich meine Maßregeln getroffen, damit Sie von einem Ereignis, welches Ihnen die Freiheit zurückgeben würde, in Kenntnis gesetzt werden. Dann erst würden Sie erfahren, welche Bewunderung ich Ihrer hochherzigen Aufopferung zolle; Sie waren jung, schön, und zum Glück geboren, und sind so schlecht belohnt worden von der hohen Frau, der Sie Jugend, Schönheit und Glück geopfert haben!
Mein einziger Wunsch ist, daß Sie dem Unglücklichen, der Ihren Wert so spät erkannt hat, eine Erinnerung widmen.
Ich scheide mit dem Gefühl inniger Verehrung.
Graf Olivier von Charny.«
Marie Antoinette reichte der Gräfin den Brief zurück.
Andrea nahm ihn an sich.
»Sagen Sie noch, daß Sie verraten sind?« sagte Andrea mit Wehmut. »Habe ich das Vertrauen, das Sie in mich setzten, nicht gerechtfertigt?«
»Verzeihen Sie mir, Andrea«, sagte die Königin. »Oh, ich mußte so viel leiden.«
»Sie haben gelitten? Das sagen Eure Majestät in meiner Gegenwart? Sie haben gelitten ... und gleichwohl mußten Sie nicht wie ich mit ansehen, daß sich der geliebte Mann gleichgültig von Ihnen
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