Die Graefin Charny
seit acht Uhr unter den Waffen stand, erwartete die Volkswehr aus den benachbarten Dörfern und begrüßte jede neu ankommende Schar.
Es versteht sich, daß die patriotische Miliz von Haramont sehnlicher erwartet wurde, als alle anderen. Denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, daß die dreiunddreißig Mann, aus denen sie bestand, auf Pitous Verwendung Uniformen erhalten hätten.
Punkt neun Uhr hörte man Trommel und Querpfeife, und am Ende der Hauptstraße erschien Pitou auf seinem Schimmel.
Lauter Jubel erfüllte die ganze Straße bis zum Marktplatz. Tante Angelika, die sich auch unter der Schar der Neugierigen befand, betrachtete Pitou mit so zudringlicher Neugier, daß sie beinahe unter die Füße seines Schimmels gekommen wäre.
Pitou beachtete sie kaum, denn mitten unter den weißgekleideten Mädchen hatte er Katharina erkannt.
Katharina war noch blaß, aber sie war schöner als alle anderen und schien seelenvergnügt, denn sie hatte in dem hohlen Weidenbaume einen Brief gefunden.
Sie winkte Pitou zu. – Pitou steckte seinen Degen in die Scheide, nahm seinen Hut ab und ging mit entblößtem Haupte auf die schöne Pächterstochter zu.
»Oh, ich habe dich anfangs gar nicht erkannt«, sagte Katharina. »Mein Gott, wie schön steht dir die Uniform! ... Dank, tausend Dank!« setzte sie leise hinzu. »Wie gut bist du und wie lieb habe ich dich!«
Plötzlich jedoch ertönte Lärm. Der Abbé Fortier war eingeladen worden, am Verbrüderungsaltar die Messe zu lesen, und die zu der religiösen Feier nötigen Ornamente sollten aus der Kirche auf den Marktplatz gebracht werden. Herr von Longpré, der Bürgermeister, hatte diese Anordnungen getroffen, aber der Abbé weigerte sich hartnäckig, den Weisungen zu folgen.
Er meldete sich krank.
Die Sache nahm eine bedenkliche Wendung. Zu jener Zeit glaubte man noch nicht, daß es möglich sei, ein Fest ohne Messe zu feiern.
Der Bürgermeister beschwichtigte die erste Aufregung, und erbot sich, dem Abbé Fortier in eigener Person einen Besuch zu machen. Die Tür des Pfarrhauses war aber verriegelt wie die Kirchentür. Herr von Longpré klopfte, die Tür blieb verschlossen.
Der Bürgermeister hielt es nun für notwendig, die bewaffnete Macht zu requirieren. Er ließ den Quartiermeister und den Gendarmen rufen. Beide leisteten der Aufforderung sogleich Folge. Eine große Volksmenge zog hinter ihnen her.
Aber in dem Augenblick, als ein Schlosser den Dietrich in das Schloß steckte, tat sich die Tür auf, und der Abbé Fortier erschien auf der Schwelle.
»Zurück!« rief er. »Ihr Ketzer, ihr Gottlosen. Was habt ihr Sodomiter bei dem Diener des Herrn zu tun?«
»Entschuldigen Sie, Herr Abbé,« sagte Herr von Longpré sehr sanft und gelassen; »wir wünschen nur zu wissen, ob Sie am Altar des Vaterlandes die Messe lesen wollen oder nicht.«
»Ob ich dem Aufruhr, dem Undank die Weihe erteilen will? Das können Sie unmöglich erwartet haben, Herr Bürgermeister! ... Sie wollen wissen, ob ich Ihre ruchlose Messe lesen will oder nicht? – Nein, nein, ich will sie nicht lesen!«
»Es ist gut, Herr Abbé,« antwortete der Bürgermeister, »Sie sind frei, und man kann Sie nicht zwingen.«
Da drängte sich ein Mann durch die verblüffte Menge und riß die schon fast geschlossene Tür mit so gewaltiger Kraft wieder auf, daß der Abbé, der doch ein starker Mann war, beinahe rücklings zu Boden gefallen wäre.
Dieser Mann war Billot.
Jedermann erwartete einen furchtbaren Auftritt. Aber Billot begann mit ruhigem, fast sanftem Tone:
»Wie sagen Sie, Herr Bürgermeister? ... Ist es wirklich Ihr Ernst, daß man den Herrn Abbé nicht zwingen könne, den Gottesdienst zu halten, wenn er sich weigert? Ich sage, man kann ihn zwingen.«
»Zurück, gottloser Mensch! Zurück, Ketzer!« rief der Abbé dem Pächter zu.
»Lassen Sie gut sein, Herr Abbé,« meinte Billot, »die Sache ist ganz einfach: wer eine Besoldung bezieht, hat die Verpflichtung, die Arbeit zu verrichten, für die er bezahlt wird. Sie allein weigern sich, Ihre Pflicht zu tun, ja noch mehr, Sie allein geben das Beispiel der Widersetzlichkeit.«
Der Abbé Fortier sah wohl ein, daß er sich verteidigen mußte.
»Die Kirche ist unabhängig«, sagte er; »die Kirche ist selbständig!«
»Eben das ist das Unglück«, entgegnete Billot; »ihr bildet eine abgesonderte Körperschaft; einen Staat im Staate! Aber wenn ihr Franzosen, wenn ihr Bürger unseres Landes seid, wenn ihr von der Nation bezahlt werdet, so,
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