Die Graefin Charny
Schuß entlockte ihr einen leisen Klagelaut, ihre Kräfte schwanden und sie sank in Pitous Arme.
Dieser lauschte, ob das Pferd noch ebenso schnell liefe wie vorher. Der Galopp ließ nicht nach und verlor sich bald in der Ferne.
»Das ist ein gutes Zeichen«, sagte Pitou.
Er hob Katharina auf und wollte sie forttragen. Aber sie nahm mit fast übermenschlicher Anstrengung ihre Kräfte zusammen und machte sich aus Pitous Armen los.
»Pitou,« sagte sie, »weißt du einen Ort, wo ich mich verbergen kann?«
»Oh ja, Jungfer Katharina,« antwortete er, »ich werde schon einen finden.«
»Dann führe mich weg von hier«, sagte Katharina.
»Aber Herr Billot?«
»Ich habe für immer gebrochen mit dem Manne, der nach meinem Geliebten geschossen hat!«
»Nun, so folge mir!«
Niemand sah sie fortgehen, und Gott allein wußte, wo Katharina die von Pitou versprochene Zufluchtsstätte fand.
Die ganze Nacht tobte ein furchtbarer Kampf in dem Herzen des Mannes, der seinen Racheplan entworfen und zur Ausführung gebracht hatte. Als er aber die Flucht seiner Tochter merkte, als er anfangs zürnend, dann bittend, endlich verzweifelnd ihren Namen rief und keine Antwort erhielt, da mochte seine riesenstarke Natur wohl heftig erschüttert werden.
»Weißt du nicht, wo Katharina ist?« fragte ihn am Morgen seine Frau.
»Katharina kann die Luft hier nicht vertragen,« antwortete Billot mit barschem Ton, um seine innere Bewegung nicht zu verraten; »sie ist zu ihrer Tante gegangen.«
»So!« erwiderte die Hausfrau verwundert. »Wird sie denn lange bleiben?«
»Solange es ihr nicht besser geht«, antwortete der Pächter in demselben Tone.
Noch einer hatte in dieser Nacht schlecht geschlafen – nämlich Doktor Raynal.
Um ein Uhr war er durch den Bedienten des Vicomte von Charny geweckt worden. Er sollte dem jungen Herrn, dem ein Unfall zugestoßen sei, augenblicklich Hilfe leisten.
Es handelte sich um eine Schußwunde in der linken Seite und um einen Streifschuß an der rechten Schulter. Die beiden Kugeln schienen von gleichem Kaliber zu sein.
Aber wie sich der Unfall zugetragen, darüber wollte der Vicomte keine Auskunft geben.
Die Wunde in der Seite war bedeutend, aber keineswegs gefährlich; die Kugel war nur in das Fleisch gedrungen, ohne ein wichtiges Organ zu verletzen. Die Streifwunde war unbedeutend.
Am vierten Tage war Isidor von Charny so weit wiederhergestellt, daß er ausgehen konnte.
20. Kapitel
Mirabeau hatte im Vertrauen auf seine Kraft den Kampf begonnen; er hatte angefangen, das der Königin gegebene Versprechen einzulösen.
Zwei Tage nach seiner Audienz bemerkte er auf dem Wege zur Nationalversammlung zahlreiche Menschenansammlungen.
Es wurden Flugblätter verteilt, und von Zeit zu Zeit ertönte der Ruf:
»Der große Verrat des Herrn von Mirabeau ... Der große Verrat des Herrn von Mirabeau!«
»Mein Freund,« sagte er zu dem Manne, der die Broschüre austeilte und mehrere tausend Exemplare in zwei Körben liegen hatte, die ihm ein Esel nachtrug, – »wieviel kostet der große Verrat des Herrn von Mirabeau?«
Der Mann sah Mirabeau forschend an.
»Herr Graf,« erwiderte er, »ich gebe dies Blatt umsonst; es sind hunderttausend Exemplare gedruckt!«
Mirabeau warf einen Blick auf die erste und erblaßte. Sie enthielt ein Verzeichnis seiner Schulden, und dies Verzeichnis war ganz genau. Zweihundertachttausend Franken! Unter dem Schuldenregister stand der Tag, an welchem diese Summe von dem Almosenpfleger der Königin an die verschiedenen Gläubiger bezahlt worden war. Dann kam die Summe, die ihm der Hof monatlich ausbezahlte: sechstausend Franken! Endlich die ausführliche Wiedergabe seiner Unterredung mit der Königin.
Welcher gefährliche, geheimnisvolle Feind verfolgte ihn ... oder vielmehr die Monarchie?
Den Hausierer, der ihn »Herr Graf« genannt hatte, glaubte Mirabeau schon irgendwo gesehen zu haben. Er kehrte wieder um. Der Esel war noch da, die Körbe auf seinem Rücken waren fast leer, aber der erste Hausierer war verschwunden, und ein anderer hatte seine Stelle eingenommen.
Der Zufall wollte, daß der Doktor Gilbert über den Platz ging. Der Broschürenverteiler redete Gilbert an wie jeden andern:
»Der große Verrat des Herrn von Mirabeau!«
Aber als er Gilbert erkannte, schien ihm Arm und Zunge plötzlich gelähmt.
Gilbert sah ihn ebenfalls an, warf das Blatt weg und entfernte sich mit den Worten:
»Sie treiben da ein schlechtes Gewerbe, Herr Beausire!«
Er nahm
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