Die Graefin Charny
nicht bloß eine Unpäßlichkeit ist.«
»Diese Krankheit werden Sie bezwingen, Doktor«, sagte die Königin. »Sie müssen mir über das Befinden des Herrn von Mirabeau Bericht abstatten. Ich verlasse mich darauf.«
Dann sprach sie von anderen Dingen.
Abends begab sich Gilbert zur bestimmten Stunde in Mirabeaus kleines Hotel und fand Mirabeau auf dem Sofa. Auf einem Sessel bemerkte er einen zurückgelassenen Kaschmirschal.
Mirabeau schien die Aufmerksamkeit Gilberts von diesem in der Eile vergessenen corpus delicti ablenken zu wollen, er rief ihm entgegen:
»Ah! Sind Sie es? ... Ich habe gehört, daß Sie einen Teil Ihres Versprechens schon gehalten haben: Paris weiß, daß ich krank bin. Haben Sie den zweiten ebenso gewissenhaft gehalten? Haben Sie beiden Majestäten gemeldet, daß ich ihnen nicht lange mehr zur Last sein werde?«
»Ich habe wenigstens gesagt, daß Sie krank sind.«
»Und was hat man Ihnen geantwortet?«
»Die Königin sagte, Sie hätten vor der Sitzung, in welcher Sie für die dreifarbige Fahne gesprochen, krank werden sollen.«
Mirabeau fuhr auf.
»So wird man mit Undank belohnt!« sagte er mit Bitterkeit. »Sie denkt also nicht mehr an die fünfundzwanzig Millionen, die der König als Zivilliste, nicht mehr an die vier Millionen, die sie selbst als Wittum erhält. – Die dreifarbige Fahne! sie ist jetzt die einzige Zuflucht des Königtums; es wäre vielleicht noch zu retten, wenn es ehrlich und offen in ihrem Schatten Schutz suchte. Aber die Königin will sich nicht retten; sie will sich rächen. Ich wollte zugleich das Königtum und die Freiheit retten; aber ich stehe allein in diesem Kampfe. Und gegen wen kämpfe ich? Hätte ich Menschen, Tiger, Löwen zu bekämpfen, ich würde sie nicht fürchten ... Nein, es ist der Kampf gegen das Meer, gegen die steigende Flut! Gestern waren mir kaum die Füße benetzt; heute reicht mir das Meer bis an die Knie; morgen wird die Flut bis an den Leib steigen und übermorgen über dem Kopfe zusammenschlagen! ... Ich muß aufrichtig gegen Sie sein, Doktor; zuerst grämte ich mich, dann verwandelte sich mein Kummer in Überdruß und Ekel. Ich hatte einen schönen Traum geträumt: ich glaubte der Vermittler zwischen Revolution und Monarchie zu werden; ich hoffte die Königin zu retten, wenn sie einst von dem Strom fortgerissen würde. Doch ich habe mich getäuscht, man hat nie ernstlich auf meinen Beistand gezählt, man hat nur darauf gesonnen, mir meine Popularität zu rauben, mich zu vernichten. Jetzt kann ich nichts Besseres tun, als zur rechten Zeit zu sterben, den Tod mit anmutigem Lächeln zu erwarten und recht graziös den Geist aufzugeben.«
Mirabeau sank auf das Sofa zurück und biß ingrimmig in die weichen Polster.
Gilbert wußte nun, was er wissen wollte.
»Was würden Sie sagen, Graf,« fragte er, »wenn sich der König morgen nach Ihnen erkundigen ließe?«
»Der König ... oder die Königin?« setzte Gilbert hinzu.
»Sie glauben,« erwiderte Mirabeau, »daß die Königin sich so weit herablassen würde? Gut, ich werde bis morgen abend warten. Wenn sie bis dahin zu mir geschickt hat ... so haben Sie recht, und ich habe unrecht ...«
»Bis dahin aber, lieber Demosthenes, müssen Sie sich Ruhe gönnen ... keine Gemütsbewegung, keine Aufregung!«
Gilbert entfernte sich. Der alte Kammerdiener erwartete ihn vor der Tür. »Nur Mut gefaßt, Freund«, sagte der Doktor; »dein Herr befindet sich besser.«
Der alte Diener schüttelte traurig den Kopf.
»Wie! Du glaubst mir nicht?« fragte Gilbert.
»Ich glaube gar nichts, Herr Doktor, solange sein böser Genius bei ihm ist.«
Unten an der Treppe sah Gilbert eine verschleierte Gestalt; sobald ihn diese bemerkte, entfloh sie durch eine halboffene Tür.
»Wer ist die Dame?« fragte Gilbert.
»Sie wissen ja,« antwortete der Kammerdiener, »das Ebenbild der Königin.«
Gilbert wurde nachdenklich, als er diese Worte vernahm. »Unmöglich!« sagte er und verließ das Haus.
Mirabeau hatte eine ziemlich ruhige Nacht. In der Frühe rief er seinen Diener und ließ das Fenster öffnen, um die frische Morgenluft zu atmen.
Von diesem Fenster aus konnte man auf die Straße sehen. Bei jedem Schlage des Türklopfers, bei jedem Ton der Glocke hätte man aus dem gegenüberstehenden Hause sehen können, wie sein Gesicht hinter dem Vorhang hervorlugte und ein spähender Blick die Menschen auf der Straße musterte.
Um zwei Uhr erschien Julius in Begleitung eines Lakaien ohne Livree. Mirabeau dachte
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