Die Graefin Charny
man draußen den vielstimmigen Ruf: »Es lebe Mirabeau!« Mirabeau lauschte und ließ das Fenster öffnen, um diesen Ruf, der ihn für so viele Leiden belohnte, deutlicher vernehmen zu können.
Als der Tag anbrach, sagte er zu Gilbert: »Heute werde ich sterben ... Habe ich die Erlaubnis, alles zu tun, was ich will?«
Gilbert antwortete durch eine stumme Gebärde, daß ihm alles freistehe.
Mirabeau rief seine beiden Diener.
»Jean,« sagte er, »besorge mir die schönsten Blumen, die zu finden sind. Julius wird mich unterdessen so schön wie möglich machen.«
Der alte Kammerdiener begann seinen Herrn zu rasieren und zu frisieren.
Sobald Jean aus dem Hause trat, wurde er von dem versammelten Volke mit Fragen bestürmt, kaum hatte er gesagt, daß sein Herr Blumen verlangt habe, liefen mehrere der Anwesenden durch die benachbarten Straßen und riefen: »Blumen für Herrn von Mirabeau!« Sogleich taten sich alle Türen auf, und jedermann bot das Schönste, was in der Wohnung oder im Treibhause zu finden war. In einer Viertelstunde war das Haus mit den seltensten Blumen überfüllt. »Lieber Doktor,« sagte Mirabeau, »ich habe jetzt von jemandem, der dieses Haus vor mir verlassen muß, für immer Abschied zu nehmen. Lassen Sie mich eine Viertelstunde allein, aber warten Sie im Nebenzimmer ... Wenn sie fort ist, müssen Sie bei mir bleiben bis zu meinem Tode.«
In der nun folgenden halben Stunde wurde Gilbert von den im Hause anwesenden Freunden des Kranken mit Fragen bestürmt; er erklärte, daß Mirabeau wahrscheinlich den Abend nicht mehr erleben werde.
Man hörte das Rollen eines Wagens, der vor dem Hause anhielt. Gilbert glaubte im ersten Augenblick, es sei ein Hofwagen; er eilte ans Fenster, es wäre für den Sterbenden ein süßer Trost gewesen, zu erfahren, daß die Königin an ihn dachte! Aber es war ein einfacher Fiaker, den Jean geholt hatte. Er erriet, für wen.
Einige Minuten nachher kam Jean aus dem Hause und hob eine verschleierte Dame in den Wagen.
Bald darauf tat sich die Tür des Krankenzimmers auf, und man hörte die matte Stimme Mirabeaus, der den Doktor verlangte.
Als Gilbert wieder an das Bett trat, fand er ein gesticktes, mit Spitzen besetztes Taschentuch auf dem Boden. Er hob es auf; es war ganz naß von Tränen.
»Sie hat nichts mitgenommen«, sagte Mirabeau, als er das Taschentuch bemerkte; »sie hat sogar noch etwas zurückgelassen.«
Die wenigen Stunden, die Mirabeau noch lebte, waren nur noch ein Todeskampf.
Als er einmal wieder erwachte, wollte er die Liste derer sehen, die bei ihm vorgesprochen hatten.
Nicht einmal ein der königlichen Familie nahestehender Name, in welchem man eine versteckte Teilnahme hätte vermuten können, war in der Liste zu finden, geschweige die Königin selbst. Mirabeau tat sich nun die größte Gewalt an, um einige Worte zu sprechen. Es gelang ihm. »Oh, die Verblendeten!« rief er, »sie bedenken nicht, daß sie verloren sind, wenn ich die Augen schließe! ... Die Monarchie wird mich einst bedauern, wenn sie auf meinem Grabe von den Unruhestiftern zerrissen und als Beute verteilt wird!«
Gilbert nahm einen Löffel, goß einige Tropfen der grünlichen Flüssigkeit, von welcher er Mirabeau schon ein Fläschchen gegeben hatte, hinein, und ohne sie diesmal mit Branntwein zu verdünnen, hielt er sie dem Kranken an die Lippen.
»Oh, lieber Doktor,« sagte Mirabeau lächelnd, »wenn das Lebenselixier auf mich wirken soll, so geben Sie mir den ganzen Löffel voll.«
Der Doktor erfüllte Mirabeaus Wunsch und reichte ihm den Trank, den er mit ungemeinem Wohlbehagen schlürfte.
Er schwieg einige Sekunden; dann sagte er mit ahnungsvollem Ton, als ob an der Schwelle der Ewigkeit der Schleier der Zukunft vor ihm aufgezogen würde:
»Ach! Doktor, wer in diesem Jahre 1791 stirbt, kann sich glücklich schätzen; denn bis jetzt ist von der Revolution nur das reine, strahlende Antlitz sichtbar gewesen. Bis jetzt hat keine große Revolution weniger Blut gekostet; denn bis jetzt ist es nur eine Revolution der Geister, aber bald wird sie sich in Taten offenbaren.«
Der Kranke sank auf das Kissen zurück. Drei Stunden lang ruhte seine schon erstarrte Hand in den Händen Gilberts; in diesen drei Stunden, von vier bis sieben Uhr, war der Todeskampf ruhig, so ruhig, daß man alle, die ihn sehen wollten, vorlassen konnte.
Aber gegen acht Uhr fühlte Gilbert die Hand Mirabeaus in der seinigen zucken. Die Zuckung war so heftig, daß er sich nicht täuschen konnte.
»Es
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