Die Graefin Charny
geht zu Ende«, sagte er. »Jetzt beginnt der wahre Todeskampf!« Die Stirn des Sterbenden war mit Schweiß bedeckt; er schlug die Augen auf, sein Blick war ungemein lebhaft.
Er gab durch Zeichen zu verstehen, daß er eine Feder, Tinte und Papier wünsche.
Man gehorchte, nicht nur, um seinen Wunsch zu erfüllen, sondern auch, um keinen Gedanken dieses großen Genies verlorengehen zu lassen.
Er nahm die Feder und schrieb mit fester Hand die zwei Worte: »Schlafen, sterben ...« Es waren die Worte Hamlets.
Nach einer Pause verlangte er wieder nach der Feder.
Gilbert reichte sie ihm.
Mirabeau faßte mit krampfhaft zuckender Hand das Papier und schrieb mit kaum lesbaren Zügen: »Fliehen! Fliehen! Fliehen!«
Er wollte seinen Namen unterschreiben, aber er vermochte nur die ersten vier Buchstaben aufs Papier zu bringen.
»Das geben Sie ihr!« stammelte er, den Arm nach Gilbert ausstreckend.
Es waren seine letzten Worte.
Er sank regungslos auf das Kissen zurück; sein Atem stockte, sein Blick erlosch. – Er war tot!
Gilbert trat ans Bett, betrachtete ihn, griff an den Puls und legte ihm die Hand aufs Herz. Dann wandte er sich zu den Anwesenden:
»Meine Herren, Mirabeau hat aufgehört zu leiden!«
Der Schmerz war allgemein, der Verlust ward in allen Schichten der Gesellschaft tief gefühlt.
Mit ungeheurem Pomp und allen Ehren wurde Mirabeaus Leichnam im Pantheon beigesetzt. –
Der Tod Mirabeaus hatte über die öffentlichen Angelegenheiten plötzlich tiefes Dunkel verbreitet. Man wußte nicht mehr, wohin man sich wenden, welche Bahn man betreten sollte. Der starke, gewandte Bändiger des Ehrgeizes und Hasses war vom Schauplätze abgetreten; man fühlte, daß er etwas mitgenommen hatte, was der Nationalversammlung von nun an fehlen würde: den Geist des Friedens, der mitten im Kriege wacht, die unter dem heftig arbeitenden Geiste verborgene Herzensgüte. Jedermann hatte durch Mirabeaus Tod verloren: die Royalisten hatten keine Sporen, die Revolutionäre keinen Zügel mehr. Der Wagen mußte nun schneller den langen, jähen Abhang hinunterrollen ... Wer konnte sagen, wohin er rollte? – –
Kaum drei Jahre später verbannte man Mirabeaus leibliche Reste aus dem Pantheon und setzte sie auf dem Friedhofe bei, auf dem die Hingerichteten bestattet wurden.
25. Kapitel
Der König war allein; ein Kammerdiener meldete:
»Der Herr Graf von Charny.«
»Nur herein! geschwind herein!« sagte der König. »Ich erwarte ihn seit gestern!«
Charny ging schnell hinein und trat mit ehrfurchtsvoller Hast auf den König zu.
»Sire,« sagte er, »ich erhielt vorgestern in der Nacht Ihren Befehl und reiste gestern früh um drei Uhr mit Extrapost von Montmédy ab.«
»Dann weiß ich mir die kleine Verspätung zu erklären«, sagte der König lächelnd.
»Sire,« versetzte Charny, »ich hätte allerdings mit Kurierpferden reisen können; ich wäre dann früher hier eingetroffen. Aber ich wollte die von Eurer Majestät gewählte Straße, insbesondere die guten und schlechten Poststationen kennenlernen. Ich habe alles sorgfältig aufgezeichnet und bin jetzt in der Lage, über alle Umstände Auskunft zu geben.«
»Bravo, Herr von Charny!« sagte der König; »Sie sind ein unvergleichlicher Diener ... Ich sagte soeben meinem lieben Kerkermeister Lafayette, ich würde lieber König von Metz als König von Frankreich sein ... Doch zum Glück sind Sie da!«
»Eure Majestät wollten die Gnade haben, mich mit der Lage der Dinge bekanntzumachen.«
»Ja, es ist wahr; ich will mich kurz fassen ... Sie haben die Flucht meiner Tante erfahren? Dieser Reise stand kein gesetzliches Hindernis im Wege, und man hatte nicht zu fürchten, daß zwei harmlose alte Damen die Emigrantenpartei verstärken würden. Sie hatten Narbonne mit den Vorkehrungen zur Abreise beauftragt, aber ich weiß nicht, wie es zugegangen ist, die Sache wurde bekannt, und sie erhielten am Abend ihrer Abreise in Bellevue einen Besuch in der Art wie der, den wir am 5. und 6. Oktober in Versailles erhielten. Glücklicherweise entkamen sie durch die eine Tür, während das ganze Gesindel in die andere hineinstürmte ... Denken Sie sich, kein Wagen war bereit! Drei sollten vollständig bespannt unter den Remisen halten! Sie mußten bis Meudon zu Fuß gehen; dort fand man endlich die Kutschen und reiste ab. Drei Stunden später war ganz Paris in Aufruhr. Marat behauptete, sie wären mit Millionen durchgegangen; Desmoulins meinte, sie hätten den Dauphin mitgenommen
Weitere Kostenlose Bücher