Die Graefin der Woelfe
Vor ihren Augen erschienen einmal mehr die alten Bilder. Ihre Mutter am Cembalo:
» Der Mensch sollte an Seele und Körper, in seinem Auftreten und seiner Haltung aus einem Guss sein. Vor allem aber sollte er sich zurückhalten können.«
Niemals hatte sie das Ideal ihrer Mutter erreicht. Stets hatte sie aufbegehrt, hatte sich nicht an die Normen gehalten. Etwas in ihr war immer ungehorsam gewesen, schwach, eitel, wollüstig und verdorben. War es der Dämon, der sie besessen hatte, und war dies hier die gerechte Strafe ihres Lebens? Sie hatte ihren Mann verloren, ihr Kind. Sie war allein und es war gut so, denn sie war ein schlechter Mensch. Mit flackerndem Blick sah sie zu dem Doktor auf, den sie in plötzlichem Bewusstsein erkannte. Er war noch immer für sie da.
Amalia streckte eine Hand nach ihm aus. Ihr Herz war ein Klumpen frisch verbrannten Fleisches. Leise stöhnte sie auf, dann schmeckte sie wieder die bittere Flüssigkeit.
*
Marijke saß im Heck der Kutsche und lugte mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen zwischen den Gardinen hindurch. Sie waren soeben am Friedhof vorbeigefahren und Marijke glaubte, noch immer den Rauch über den geschändeten Gräbern emporsteigen zu sehen.
Die Nonnen hatten ihr von den neuesten Ereignissen in Krumau berichtet und nun war sie froh, so schnell wie möglich den malerischen Ort an der Moldau verlassen zu können. Es hieß, es seien Vampire in Krumau umgegangen. Ein Jüngling war auf einem Rappen über den Friedhof geritten und das Tier hatte dreimal gescheut. Dies waren die Gräber, in denen Vampire ihre Tagesruhe verbrachten, ehe sie sich des Nachts aus den Särgen erhoben und die braven Krumauer überfielen. Überall im Ort waren Angst und Schrecken verbreitet. Marijke fürchtete sich und machte sich Sorgen um Elena, auch wenn die Nonnen ihr noch so oft versichert hatten, dass das Kind hinter den Klostermauern sicher sei. »Doch vor anderen Mauern fürchten sich die Wiedergänger nicht«, hatte die Äbtissin mit Grabesstimme hinzugefügt und mit dem Kinn auf das mächtige Krumauer Schloss gezeigt. Es erhob sich hoch über der Stadt und seine einzige Bewohnerin, die Fürstin von Schwarzenberg, wurde, wie es hieß, von einer seltsamen Krankheit im Bann gehalten. Zögerlich ließ Marijke die Vorhänge zufallen. Wie würde es Amalia ergangen sein? Wie hatte sie die neuerliche Entwicklung aufgenommen?
*
Sobald Amalias Geist Klarheit erlangte, griff das Entsetzen nach ihr. Es hielt sie fest, schüttelte ihren schwachen Körper und bohrte glühende Eisen in ihr Herz. Sehnsüchtig öffnete sie ihren Mund den Tropfen des Arztes. Sie halfen ihr, zu vergessen, verminderten die Schmerzen in ihrem Körper und in ihrer Seele. Sie fühlte nicht mehr, sank zurück in die Dunkelheit. Von fern hörte sie eine Stimme, die Worte formte, wenngleich sie nicht wusste, was Worte waren. Sie befand sich in einer Erdhöhle, einer warmen, weichen Höhle und alles war gut. Tief tauchte sie ein, trieb wie ein Holzschiffchen auf einem Tümpel. Da griff etwas an ihr Herz, ein unsäglicher Schmerz durchfuhr sie. Amalia stöhnte auf. Erneut hörte sie Stimmen, jemand sprach die Worte.
»Sie ist erwacht.«
»Prinzessin, schauen Sie mich an.«
Sie kannte den Klang. Ein Klang aus einer anderen Zeit, einem anderen Leben. Sie wollte nicht zurück, ließ sich schwer in die Dunkelheit sinken. An ihrem Bett saß Jakobus. Er hatte den kleinen Quintus auf dem Arm. Amalia lächelte den Jäger an, versuchte, in das weiche Fell des Hundes zu fassen.
»Prinzessin, schauen Sie mich an.«
Das waren des Jägers Worte, nicht aber seine Stimme. Amalia wollte die Augen nicht öffnen. Sie wollte die Dunkelheit nicht verlassen, die sie so wohltuend umfing. Stattdessen öffnete sie den Mund in Erwartung der Tropfen, die ihr Vergessen bringen würden. Eine warme, würzige Flüssigkeit rann ihr die Kehle hinunter. Amalia verschluckte sich, hustete. Zarte Hände zogen sie hoch, halfen ihr, sich zu setzen, weiche Arme umschlangen sie.
*
»Schlafen Sie, Prinzessin. Ich bin an Ihrer Seite, wenn Sie das nächste Mal erwachen. Fürchten Sie sich nicht.«
Mit einem kühlen Blick streifte Marijke den Arzt. Sie hatte beobachtet, wie sich Amalia im Schlaf gegen seine Berührungen gewehrt hatte.
»Wir sollten die Gräfin nun wieder schlafen lassen. Sie hören von mir, wenn wir Sie brauchen.« Ihre Stimme klang scharf und zu ihrer Verwunderung verließ Erasmus ohne Widerworte die Kammer.
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