Die Graefin der Woelfe
retten.«
Marijke schauderte. Sie hatte sich die ganze Zeit über verboten, darüber nachzudenken, was mit Amalias gequältem Leib geschehen würde, wenn sie nicht mehr am Leben war. Jetzt war ihr klar geworden, dass Doktor von Spießen die Antwort auf diese Frage schon lange kannte. Aber welche Aufgabe hatte er ihr dabei zugedacht? Er würde doch nicht im Ernst von ihr erwarten, dass sie …
»Wozu brauchen Sie dabei meine Hilfe?« Marijkes Stimme zitterte.
Erasmus lächelte. »Seien Sie unbesorgt. Ich benötige Ihre Hilfe weit im Vorfeld. Die Gräfin hört auf Ihren Rat mehr als auf den Rat ihres Arztes«, setzte er verbittert hinzu.
Marijke dachte nach. Es war ihre Pflicht, die unsterbliche Seele der Sterbenskranken zu retten und sie würde tun, was notwendig war, auch wenn sie sich noch immer weigerte, die ungeheuerlichen Theorien des Doktors zu glauben. Dennoch, sie durfte kein Risiko eingehen.
»Was soll ich tun?«, fragte sie mit angehaltenem Atem.
Erasmus setzte sich und nahm einen Schluck aus seinem Glas. Sein Gesicht drückte Ruhe und Zufriedenheit aus. Selbstgerechtigkeit, dachte Marijke angewidert und schluckte Hass und Wut auf den Leipziger mit einem großen Schluck Tokaier hinunter.
»Ich brauche ein Testament, in dem die Gräfin mir den Auftrag erteilt, ihren Körper zu obduzieren. Dabei soll sie den ausdrücklichen Wunsch formulieren, dass ich mit ihrem Leichnam allein gelassen werden soll, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass bei dem, was ich zu tun habe, Zeugen zugegen sein sollen.« Erasmus richtete seinen bohrenden Blick auf Marijke. »Überzeugen Sie sie, das Testament zu schreiben?«
Marijke trank einen weiteren Schluck. Was wollte er tun? Was bedeutete das, eine Obduktion? Wollte er ihr das Herz herausschneiden? Es war schon richtig, viele Herrscher ließen ihr Herz an einer anderen Stelle bestatten als ihren Körper. Marijke gruselte bei dem Gedanken, dennoch straffte sie die Schultern.
»Ich werde mit ihr reden.«
Der Tag des Testaments kam eher, als es Marijke lieb war. Sie hatte die Gräfin darauf vorbereitet, dass Doktor von Spießen mit einem wichtigen Anliegen bei ihr vorsprechen würde, es aber nicht über sich gebracht, näher ins Detail zu gehen. Zudem hatte sie Jelko beauftragt, den Pfarrer aus dem Dorf zu holen, damit dieser als Zeuge fungieren konnte. Beide standen sie draußen, denn auch der Knecht sollte das Dokument bezeugen.
Im Inneren der Kammer war die Krankheit allgegenwärtig. Amalias Augen blickten gehetzt aus tiefen Höhlen. Die Wangen waren eingefallen und dünne Haut bedeckte die Knochen. Wegen der anhaltenden Schafskälte war schon lange nicht mehr gelüftet worden. Marijke versuchte, den beißenden Gestank mit Amalias Rosenparfüm zu überdecken, es war sinnlos. Jetzt trat sie an das Bett ihres Schützlings, ergriff die schlaffe Hand und flüsterte.
»Der Doktor ist hier. Er hat etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen.«
Amalia hob den Kopf, ließ ihn jedoch ermattet wieder sinken.
Gemeinsam mit Erasmus richtete sie die Gräfin auf. Sie setzte ihr die Perücke auf und legte ihr ein warmes Tuch um die Schultern.
Amalia nickte dankbar. Mit schwacher Stimme wandte sie sich an ihren Arzt. »Doktor von Spießen, das einzig Wichtige in meinem Leben ist mein Kind. Bringen Sie mir Nachricht von meinem Kind?«
Erasmus zuckte sichtbar zusammen. Er rang um Fassung. »Die Komtess, Gräfin, die Tochter meines lieben Freundes und Ihres Gatten, ist in Sicherheit.« Seine Stimme klang schneidend.
»So wissen Sie, wo sie ist?«
»Selbstverständlich weiß ich, wo sie ist und ich kann Ihnen versichern, es geht ihr außerordentlich gut. Die Schwestern kümmern sich rührend um das Mädchen. Sie bekommt eine gute Ausbildung und was noch wichtiger ist, sie wird nach den Regeln des christlichen Glaubens erzogen. Seien Sie versichert, Ihrem Kind mangelt es an nichts. Sie wird ein gutes Leben haben.«
Amalia hatte sich bei jedem Wort tiefer in ihr Kissen gedrückt. Marijke hörte den Vorwurf aus jedem Laut des Doktors und sie erkannte, dass Amalia ihm im Stillen recht gab. Entsprechend schuldbewusst klang ihre matte Stimme.
»Ich muss Ihnen danken, dass Sie sich so umsichtig um mein Kind gekümmert haben. Doch sagen Sie mir, liebster Doktor, wann kann ich sie wiedersehen?«
»Frau Gräfin, Ihr Wunsch ist jedem wahren Christenmenschen verständlich. Allein, seine Erfüllung wäre nicht nur leichtsinnig, sondern in jeder Hinsicht grausam.«
Amalia zuckte zusammen
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