Die Graefin der Woelfe
Silbertablett in der Hand. Unter Marijkes strengen Blicken deckten sie einen eigens zu diesem Zweck im Zimmer aufgebauten Tisch.
Amalia und Marijke setzten sich.
»Was wirst du tun, wenn ich nicht mehr bin?«, fragte Amalia in die Stille.
Marijke erschrak. »Aber Prinzessin, wieso sagen Sie so etwas? Ihnen geht es so gut wie schon lange nicht mehr. Dieser Architekt wirkt Wunder. Vielleicht sollten wir auf den Rat von Lucia hören und uns einen anderen Arzt suchen.«
»Antworte auf meine Frage, Marijke. Es wäre mir wohler, wenn ich wüsste, dass es dir gut ginge.«
Marijke blickte auf, ihre Stirn runzelte sich.
»Ich habe nicht oft danach gefragt, wie es dir geht, oder?«
»Es war gut, wie es war, Prinzessin.«
»Gut, ja, du hast recht. Es waren gute Zeiten, ich habe dich sehr gern gehabt, all die Jahre. Es ist mir nie aufgefallen.«
Marijkes Augen schwammen in Tränen. »Prinzessin …«
»Jetzt sag mir, was wirst du tun, wenn ich nicht mehr bin? Wirst du nach Wien gehen? Genügend Geld solltest du haben.«
»Ich werde nach Wien gehen, ich habe – ich werde eine Wohnung haben und von meiner Rente leben. Sie sind sehr großzügig.«
»Kannst du mir noch eines versprechen?«
»Prinzessin«, wehrte Marijke erneut ab, doch ein Blick in Amalias Gesicht ließ sie verstummen.
»Wirst du nach ihr sehen, ihr von ihrer Mutter erzählen?«
Nun liefen Tränen über Marijkes Gesicht. Sie schluchzte, konnte sich nicht mehr beruhigen, dazwischen nickte sie unentwegt. Amalia ergriff ihre Hand. »Es ist gut, es ist alles gut. Es ist doch nur, damit ich beruhigt schlafen kann.«
Unaufhörlich bewegte sich Marijkes Kopf auf und ab. Sie versuchte ein halbherziges Lächeln, es gelang ihr nicht. Amalia fuhr ihr über das Haar. Welch ungewohnte Situation. Niemals hatte sie die Zofe trösten müssen, immer war es Marijke gewesen, die tröstete. Es fühlte sich gut an. Die Schluchzer wurden weniger, Marijke hob den Kopf. Ihre Augen waren rot, aber sie blickten klar.
»Ich werde dafür Sorge tragen, dass Elena weiß, wer ihre Mutter in Wahrheit ist«, erklärte sie feierlich. Dann stand sie auf und begann geschäftig an Amalias Perücke zu zupfen.
»Geh schlafen, Marijke, heute Abend soll sich die Zofe der Torgelows um mich kümmern. Ich bin noch nicht müde und möchte in die Kapelle gehen zum Beten.«
»Soll ich Sie begleiten, Prinzessin?«
»Nein«, antwortete Amalia schlicht.
Auf ihren Wink hin erschienen vier Diener mit dem Tragesessel. Sie wog wenig und es machte den Männern keine Mühe, sie in die nahe gelegene Kapelle zu tragen. Dabei handelte es sich nicht wirklich um eine Kapelle, sondern um einen beinahe gemütlichen Raum, ganz in der Nähe der Schlafkammern, in dem ein jeder, sollte er eine schwere Nacht haben, rasch Trost finden konnte. Die Diener stellten den Stuhl ab und schickten sich an, zu warten. Sie machte eine abwehrende Geste.
»Geht nur schlafen, ich brauche euch heute nicht mehr.«
Die Männer sahen sich unsicher an, doch Amalia nickte energisch. »Geht nur! Macht euch keine Sorgen.«
Endlich allein ließ sie sich auf die gut gepolsterte Gebetsbank nieder. Die Heilige Jungfrau lächelte stolz auf sie herab, ihren neugeborenen Sohn auf dem Arm. Amalia lächelte zurück, legte behutsam die Handflächen aneinander und betete. Ave Maria, gratia plena…
Sie spürte ihre Fingerspitzen, den gesenkten Kopf, den gleichmäßigen Atem. Die Worte verhallten im Nichts. Stille umfing sie, drang in sie ein. Amalia sog die Luft ein, schickte ihren Atem durch den gepeinigten Körper und wurde ruhig. Langsam öffnete sie die Augen, hob den Kopf, blieb auf den Knien. Ihr Körper entspannte sich. Der Schmerz brannte weniger. Es war, als könnte sie ihn genauso loslassen wie alles andere. Einfach nur sein, in dieser Stille, dieser wunderbaren Geborgenheit. Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, erfasste ihr Gesicht, kitzelte ihr in den Augen. Sie stand auf, langsam und schwach und gleichzeitig stark und ruhig. Sie blickte noch einmal in das Antlitz der Jungfrau, dann verließ sie die Kapelle. Tastete sich durch den dunklen Gang in ihre Kammer, entzündete eine Kerze und setzte sich an den Sekretär. Sie fand Papier und Tinte, zog ihren Schal fester um die Schultern, senkte die Feder und begann zu schreiben.
Meine geliebte Tochter, wenn du dies liest, habe ich schon viele Jahre über dein Leben gewacht. Ich warte, glücklich an der Seite deines Vaters, bis wir uns dereinst im Himmel wiedersehen
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