Die Graefin der Woelfe
voller Kraft und Energie, schleppend. Seine Hand, die er zitternd dem Türknauf entgegenstreckte, war mit Flecken übersät und von der Gicht krumm geworden. Die Tür ließ sich erstaunlich leicht öffnen und schwang mit einem klaren Glockenklang zurück. Nachdem seine Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten, blickte sich Erasmus im Inneren des Buchbinderladens um. Die Regale an den Wänden waren bis unter die Decke mit Büchern und Zeitschriften zugestellt. Er ließ seine Finger liebevoll über die ledergebundenen Rücken gleiten. Unbeholfen nestelte er seinen Zwicker aus der Tasche seines Talars und studierte die Buchtitel. Er war so vertieft, dass er nicht hörte, wie der Buchhändler leise hinter ihn trat.
»Grüß Sie Gott, der Herr. Was kann ich Ihnen Gutes tun?«
Erasmus fuhr zusammen, drehte sich um und betrachtete den Mann durch seine Augengläser. »Kommen Sie mit nach hinten, wo uns keiner hört«, flüsterte er.
Der Buchhändler blickte suchend über seine Schulter. »Da ist keiner, der uns hören könnte. Aber wenn’s unbedingt wollen, wir können auch nach hinten gehen.«
Erasmus packte die Tasche, die er unter dem Arm trug, fester und folgte dem Mann. »Man hat Sie mir als Verleger empfohlen.«
»Oh, Sie haben ein Buch zu verlegen. Das ist gut, die Leute lesen viel, ich komme kaum noch nach. Derzeit sind Liebesgeschichten besonders gefragt, haben Sie eine Liebesgeschichte geschrieben?«
Erasmus verzog angewidert das Gesicht. »Sehe ich aus wie jemand, der dem Herrgott mit solch unnötiger Schreiberei die Zeit stiehlt?«
»Nein, der Herr, das tun Sie in der Tat nicht. Aber ich muss meine Leserinnen bedienen. Nun sagen Sie schon, was haben Sie denn da?« Dabei zeigte er auf Erasmus’ Tasche, die er umständlich auf den Tisch gelegt hatte.
»Das ist eine wissenschaftliche Abhandlung.« Erasmus holte die dicke Mappe voller eng beschriebener Seiten hervor. Er strich sie mit den Fingern glatt.
Auf der ersten Seite war in geschwungenen Lettern zu lesen:
Abhandlung über Entstehung und Verbreitung des Vampirismus am Beispiel einer böhmischen Gräfin
von Erasmus Martin von Spießen
Der Buchhändler las die Überschrift und legte das Buch augenblicklich zur Seite. Ohne ein weiteres Wort zu sprechen, ging er in seinen Verkaufsraum. Wenig später kam er mit einem dünnen Bändchen zurück. Erasmus setzte seinen Zwicker wieder auf und las.
Traktat von dem Kauen und Schmatzen der Toten in Gräbern
von Michael Ranft
Erasmus spürte, wie ihm Hitze in die Glieder fuhr. Er schluckte schwer, versuchte, das Zittern seiner Hände zu unterdrücken. Das Buch war vor wenigen Jahren erschienen, er hatte in Linz gesessen und nichts davon bemerkt.
Hastig blätterte er in dem Werk. Ranft schien nicht von der Vampirkrankheit überzeugt zu sein, außerdem hatte er schlampig recherchiert. Viele Fälle wurden gar nicht erwähnt. Er straffte die Schultern.
»Mir scheint, ich kann den geschätzten Kollegen in weiten Teilen widerlegen. So, wie ich das hier sehe, hat er nicht alle Facetten berücksichtigt. Ich werde mein Manuskript dahingehend überarbeiten.«
»Geschätzter Herr von Spießen, das sind Sie doch, oder?«
Erasmus nickte, von dem ungewohnt forschen Ton eingeschüchtert.
»Sehen Sie, es gibt keinerlei Veranlassung für Sie oder für mich, das Buch zu überarbeiten oder gar zu verlegen. Die Kaiserin selbst kümmert sich um das Thema. Sie hat den Arzt Gerard van Swieten gebeten, diese Sache zu untersuchen. Das Ergebnis scheint festzustehen. Dr. van Swieten ist davon überzeugt, dass es sich bei den Vampirerscheinungen um reine Hysterie handelt, eine Barbarei der Unwissenheit.«
Erasmus zuckte zusammen, setzte sich auf einen Stuhl. Sein Herz schien nicht mehr zu schlagen. Er hatte, einzig um sein Lebenswerk zu vollenden, ein biblisches Alter erreicht. Was hatte Gott mit ihm vor? »Aber«, stotterte er, »aber ich habe doch mit eigenen Augen …«
»Ich rate Ihnen, von Spießen, reden Sie nicht mehr darüber«, unterbrach ihn der Buchhändler. »Man sagt, die Kaiserin ist äußerst aufgebracht wegen des abergläubigen Verhaltens ihrer Untertanen und den unappetitlichen Grabschändungen. Sie wird jede weitere öffentliche Diskussion über das Thema unter Strafe stellen. Maria Theresia möchte Österreich zu einem modernen Staat der Bildung machen. Dazu gehört es vor allem, jeglichem Aberglauben den Krieg anzusagen. Wenn Sie mich fragen, das Beste, was sie tun kann.«
Erasmus war es, als würde ihm
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