Die Graefin der Woelfe
wissbegieriges und kluges Mädchen, müssen Sie wissen, lieber Graf.«
Amalia war bereits weiter in das Innere der Kirche gelangt und zeigte auf eines der Seitenfenster. »Fällt Ihnen etwas auf, lieber Graf?« Statt eine Antwort abzuwarten, gab sie selbst die Lösung bekannt. »Schauen Sie genau hin, diese Fenster sind in Wahrheit gar keine Fenster, sondern Spiegel. Die Sonne, die uns gerade blendet, kommt nicht durch sie hindurch, sondern steht eigentlich genau hier.« Amalia drehte sich um und zeigte auf ein Fenster über der Orgel, wo die Nachmittagssonne hindurchschien. »Ist es nicht wunderbar, Wenzel? Kannst du sehen, wie der gesamte Innenraum der Kirche durch diesen kleinen Trick zum Leuchten gebracht wird?«
Pater Eugen zuckte zusammen und Amalia wusste, warum. Sie kümmerte sich nicht weiter um den Ausrutscher, sondern zeigte auf das Spiegelbild einer der hinteren Säulen. »Die Säule, die Sie hier sehen, werter Herr Graf, steht im hinteren Teil der Kirche. Sehen Sie nur selbst, wie wunderbar sie gearbeitet ist. Sie ist aus italienischem Marmor, müssen Sie wissen. Aus dem gleichen Material möchte ich gern unsere Treppen haben.«
»Liebe Gräfin.« Auf Pater Eugens Antlitz spiegelte sich ein belustigtes Lächeln. »Wie ich sehe, haben Sie nichts von Ihrem Temperament eingebüßt. Es ist schön zu sehen, dass es Ihnen gut geht.«
Sie freute sich über seine Worte, auch wenn sie glaubte, einen Anflug von Besorgnis in den guten alten Augen zu erkennen.
»Wissen Sie noch, Pater, wie oft ich hier mit meinem Vater war?«
»Ich weiß. Der Fürst …« Pater Eugen wandte sich an den Grafen. »Der Fürst hatte Vieles mit dem Abt zu verhandeln. In der Zeit wurde mir die Freude zuteil, mich um die kleine Prinzessin zu kümmern. Sie hatte so viele Fragen. Wien war in jener Zeit eine einzige Baustelle, die Türken hatten während der Belagerung unzählige Häuser und ganze Straßenzüge zerstört. Vor allem die Leopoldstadt hatte es schwer getroffen. Überall wurde gebaut. Die besten Bauherren und Architekten des Reiches errichteten ein neues Wien und Ihre Gattin hat alles genau beobachtet.«
Während der Pater erzählt hatte, waren sie in den Mittelgang getreten.
Amalia zeigte in die Kuppel der Kirche. »Sehen Sie, lieber Gatte, eine solche Kuppel hätte ich auch gern in unser Schloss integriert, aber sie passt nicht zu meinen anderen Plänen. Dafür werden wir einen Treppenaufgang haben, der sich mit dem Schloss der Franzosen messen lassen kann.«
»Wovon sprechen Sie, liebe Gräfin?«
»Stellen Sie sich vor, Pater, ich werde das Schloss meines Gatten umbauen. Schauen Sie nur, hier sind die Pläne. Ich habe sie selbst gezeichnet.«
»Sie haben was?« Der Pater blickte voller Entsetzen zu Graf Wenzel auf, der nickte lächelnd. »Aber Frau Gräfin, Herr Graf?« Jetzt wurde seine Stimme schneidend. »Was tun Sie? Wissen Sie es denn nicht? Gräfin«, jetzt schrie er beinahe und fügte nahezu erschöpft hinzu: »Überlassen Sie das Planen und Zeichnen den Männern, deren Beruf es ist.« Abrupt drehte er ihr den Rücken zu. Seine Aufmerksamkeit galt nur noch Wenzel. »Wenn Sie Ihr Schloss umbauen möchten, lieber Graf, vermittle ich Ihnen gern den Kontakt zu einem wirklich guten Baumeister, der auch die entsprechenden Pläne zeichnen kann.« Seine Stimme klang wieder ruhig und sachlich.
Das war zu viel. Wut machte sich in ihr breit. Störrisch fuhr sie den Pater an. »Sie selbst, Pater Eugen, haben mich die Liebe zur Baukunst gelehrt.«
»Wenn ich gewusst hätte, auf welch fruchtbaren Boden sie fallen würde, hätte ich es niemals getan.«
Amalia zuckte zusammen.
Wenzel übernahm das Wort, sichtlich um Ausgleich bemüht. »Sehen Sie, lieber Pater, mein Schwiegervater ist ein Bewunderer der französischen Philosophie. Er hat seiner Tochter eine außergewöhnlich umfassende Bildung ermöglicht …«
»… und wie Sie sehen«, unterbrach Amalia ihren Mann, »hat er Erfolg damit gehabt. Der Philosoph de la Barre ist der Ansicht, dass Frauen bei gleicher Bildung auch das Gleiche leisten können. Sie können Vizeköniginnen, Herrscherinnen oder Staatsdienerinnen werden, hat er gesagt. Dann können sie auch Baumeisterinnen sein.«
»Hat Ihr Franzose auch gesagt, dass die Frau ihren Mann unterbrechen darf?«, fuhr der Pater sie an. »Auch wenn es durchaus möglich scheint und auch von Nutzen sein kann, dass eine Frau eine gewisse Bildung erhält, so sollten wir doch nicht vergessen, dass jeder an seinen Platz
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