Die Graefin der Woelfe
verstand. »Und wie kommen Sie nun da oben hinein? So wie ich das sehe, hört die Treppe in der Mitte des Palas einfach auf.« Er klopfte mit dem Zeigefinger auf die Stelle, an der die Freitreppe, so wie es aussah, direkt an der Außenmauer aufhörte.
In Wahrheit sollte hier jedoch ein balkonartiger Vorbau sein, an allen Seiten verglast und mit großen Flügeltüren zur Treppe, was auf dieser Zeichnung schlecht zu erkennen war. Amalia wusste, dass sie auf der nächsten Seite eine deutlichere Ansicht gefertigt hatte. Sie beugte sich vor und zog das Buch zu sich heran.
»Ach, das ist aber reizend, was Sie da gezeichnet haben, liebster Graf. Was haben Sie denn sonst noch so gemalt?« Beinahe wäre sie über ihr naives Tun in schallendes Gelächter ausgebrochen, doch dafür war die Situation zu ernst. So blätterte sie geschwind die richtige Seite auf. »Wie hübsch. Das ist ja ein Anbau, und wie es ausschaut, hat er ganz viele Fenster und zwei große Flügeltüren zur Treppe. Sehen Sie nur, Herr von Hildebrandt, man kann sogar durchgucken.« Mit großem Augenaufschlag schob sie dem Architekten das Heft zu.
»Stimmt, gnä’ Frau. Dann erklärt sich auch, wie man in den ersten Stock kommen soll, vorausgesetzt, man kann die Wand im Palas durchbrechen und eine Tür dort hineinsetzen.«
»Ja, das geht. Ich habe es genau geprüft. An dieser Stelle gibt es keine tragenden Teile.« Mit jedem Wort wurde ihre Stimme leiser. Sie senkte die Lider, ihre Wangen brannten.
»So, dann haben Sie also diese wunderbaren Zeichnungen angefertigt.« Von Hildebrandts Worte klangen wohlwollend und belustigt.
Ihr Blick suchte den ihres Gatten, der beinahe erleichtert nickte. »Ja«, gab sie zu.
»Und die Berechnungen sind auch von Ihnen?«
»Ich hoffe, es sind nicht zu viele Fehler darin. Bitte verzeihen Sie, dass wir …«
»Schon gut«, wehrte der Architekt ab. »Das ist eine sehr gute Arbeit, junge Frau. Schade, dass Sie kein Mann sind. Aus Ihnen wäre ein wirklich guter Baumeister geworden.« Er nickte ihr freundlich zu. »Also, ich werde dieses Schloss bauen. Allerdings, mit der Treppe und dem ersten Stock ist das nicht so einfach, wie Sie sich das vorgestellt haben. Aber machen Sie sich keine Sorgen, mir fällt da was ein.«
Bei einer weiteren Tasse Kaffee und einem Glas Port planten sie die nächsten Schritte. Der Architekt versprach, in den ersten Wochen des kommenden Jahres nach Falkenfried zu reisen, um sich die Burg vor Ort anzuschauen. Dann würde er sich einen Baumeister suchen und mit ihm die Handwerker und Materialien besorgen.
Im Frühjahr war es endlich so weit. Der Architekt hatte sein Kommen angekündigt und Amalia plante zu seinen Ehren eine kleine Abendgesellschaft. Auch Erasmus, der den Winter in Linz verbracht hatte, war eingeladen.
Bereits seit Tagen waren Krysta, Marijke und sie damit beschäftigt, die alte Burg auf Vordermann zu bringen. Sie hatten die Halle frisch gefegt und mit dicken Teppichen und Fellen ausgelegt. Krysta und Marijke wienerten das Silber um die Wette, während Amalia Marijkes schönste Stickarbeiten auf Wände und Möbel drapierte. Alles war vorbereitet für den Besuch des großen Architekten, dessen Kutsche am frühen Abend erwartet wurde.
Trotz aller Bemühungen fühlte sich Amalia unwohl. Sie schritt über den Burgplatz, der erst seit einigen Tagen vom Schnee befreit war und versuchte, das Gemäuer mit von Hildebrands Augen zu sehen.
Vor ihr erhob sich eine alte Trutzburg, die während vergangener Jahrhunderte immer wehrhafter geworden war. Die Menschen, die hier gebaut hatten, waren Schutzsuchende gewesen. Für Bequemlichkeit oder Luxus gab es keinen Platz in den alten Mauern. Seit jener Zeit war die Burg an etlichen Stellen verfallen. Es hatte viele dieser Festungen gegeben, die meisten waren im Krieg geschleift worden. Diese hier war stehen geblieben. Schön war sie nicht.
Mitten in ihre Gedanken drang das Klappern einer Kutsche. Jakobus und Wenzel traten zum Tor, und während der Stallmeister sich anschickte, die Kutsche zu empfangen, reichte Wenzel ihr einen Arm und geleitete sie an die Stelle, wo sie den Architekten zu empfangen gedachten.
Schwungvoll öffnete Jakobus den Schlag der Kutsche. Von Hildebrandt war kaum zu erkennen. Er hatte sich mit einer Vielzahl von Fellen und Decken zugedeckt, aus denen er sich nun höchst widerwillig emporarbeitete. Er griff Jakobus’ ausgestreckte Hand und setzte seine Stiefel vorsichtig auf das Pflaster.
»Willkommen in unserem
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