Die Graefin der Woelfe
Kinder konnten tot zur Welt kommen oder kurz nach der Geburt sterben. Dennoch tat es weh. Sie hatte es gespürt, war mit jeder morgendlichen Übelkeit glücklicher gewesen. Nun war es nicht mehr da. Ihr Bauch war leer wie niemals zuvor.
Sie schluchzte, überließ sich ihrem Schmerz und den sanften Händen der Hebamme.
*
Marijke beobachtete die Hebamme mit gemischten Gefühlen. Sicher, es hatte etwas für sich, dass der finstere Doktor auf Patientenbesuch weilte und die Hebamme schien ihr Handwerk zu verstehen. Allein, etwas an dieser sonderbaren Frau gefiel Marijke nicht. Krysta hatte ihr erklärt, dass Margeth die einzige Frau im Dorf war, die lesen konnte. Ihr ganzer Stolz seien einige Abschriften aus dem Freiwillig aufspringenden Granatapfel des christlichen Samariters, die sie von einem fahrenden Händler, dessen Frau in großen Nöten war, als Belohnung bekommen hatte. Man erzählte sich, dass die Hebamme beinahe täglich in diesem Buch las. All ihre Rezepte zur Stärkung und Reinigung des Blutes und der Mutter stammten aus dem Granatapfel . Rezepte, die die Hebamme auch für Amalia zubereitet hatte.
Dennoch, etwas an dieser Frau wirkte seltsam. Es gefiel Marijke auch nicht, mit welcher Selbstsicherheit die Frau den Grafen aus der Kammer geworfen hatte. Auch jetzt saß er mehr vor der Tür als am Bett seiner Frau.
Als der Doktor wenige Tage später mit strenger Miene auf Falkenfried eintraf, war es Marijke nicht wohler – im Gegenteil. Seine selbstgefällige Herablassung, mit der er Amalia kaum angeblickt hatte, trieb ihr Wut in den Bauch. Zudem hatte sie auch noch ein Gespräch mitbekommen, in dem sich Erasmus von Spießen dem Grafen gegenüber aufgespielt hatte. »Eine Frau, die schweigen kann, ist eine Gabe Gottes.« Mit diesen Worten hatte er seine Rede eingeleitet. Es bestand kein Zweifel, dass sie auf die Gräfin abzielte, die wenig vorher am Tisch eine kleine Anekdote erzählt hatte. Der Graf tat, als würde er die Spitze nicht bemerken, doch der Doktor hatte bereits den zweiten Giftpfeil aus dem Köcher genommen. »Sehen Sie«, begann er nahezu freundlich. »An dem Morgen, an dem ich zu meinen Patienten gereist bin, habe ich gesehen, wie die Hebamme zur Burg eilte. Ich wusste gleich, was geschehen war. Schließlich waren mir die ersten Anzeichen bei Ihrer geschätzten Gattin nicht entgangen. Aber es ist kein Wunder, dass es so gekommen ist. Die Gräfin hat eine äußerst spezielle Art, ihre Zeit zu verbringen.«
Ehe er weiterreden konnte, war Marijke in den Saal gestürmt und störte die Zusammenkunft der beiden Herren absichtlich. Was wäre gewesen, wenn Amalia diesen Unfug mitgehört hätte?
*
Bereits wenige Tage nach der Fehlgeburt fühlte sich Amalia fit und gesund. Noch immer saß die Trauer in ihrem Herzen, aber sie vertraute der Hebamme und ihren Worten. Sie würde wieder schwanger werden, viele Kinder bekommen.
Das Erlebte jedoch hatte erhebliche Auswirkungen auf ihre Zeichnungen. Wollte sie die alte Burg bisher aus reiner Liebe zur Schönheit umbauen, gab es jetzt einen viel wichtigeren Grund. Sie musste ihre Kinder schützen, ihre Kinder, die noch nicht geboren waren. Mit neu gewonnenem Eifer machte sie sich an die Arbeit. Diesmal betrachtete sie das Schloss mit anderen Augen. Es musste neben prachtvollen Repräsentationsräumen über einen gemütlichen, gut zu beheizenden Kindertrakt verfügen. Hier würde ihre fröhliche Schar mit den Ammen, Lehrern und Kinderfrauen leben. Sie plante helle Räume im oberen Teil des Schlosses mit großen Fenstern, alle nach Süden. Es würde eine Menge kosten, aber ihre Kinder sollten von der Sonne verwöhnt werden.
Wenige Tage später war es endlich so weit. Sie hatte den letzten Strich gesetzt. Mit klopfendem Herzen führte sie Wenzel auf eine kleine Anhöhe, von wo aus sie einen guten Blick auf den Palas und die Kapelle hatten. Ihre Hände zitterten, als sie das Notizbuch aus der kleinen Tasche nahm, die in die Stofffalten ihres Kleides eingenäht war. Rasch blätterte sie zu einer Abbildung der Stelle, die sie von ihrem erhöhten Platz aus sehen konnte.
»Endlich darf ich in dein geheimes Buch blicken, ich war schon richtig eifersüchtig darauf.« Wie immer, wenn sie allein waren, sprach er sie seit einer Weile mit dem vertrauten »du« an. Jetzt blätterte er weiter, sein Antlitz strahlte. Sie spürte jeden einzelnen ihrer Herzschläge.
Nach unendlich langer Zeit ließ Wenzel das Buch sinken. Sein Blick drückte Stolz und
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