Die Graefin der Woelfe
nutzen?«
Die andere hatte sie längst losgelassen. »Das macht sechs Kreuzer.« Ihre Stimme wandelte sich in ein geschäftsmäßiges Keifen und ließ keinen Zweifel, dass die Sitzung zu Ende war. Plötzlich sah sie wie eine normale Frau aus, sogar die intensiven grünen Augen wirkten nur noch müde.
Amalia nestelte an ihrem Täschchen, fischte einen Viertelgulden heraus und legte ihn auf den Tisch. Sie eilte zurück zu dem Seidenstand, der jeden Reiz verloren hatte. Ihr Wunsch würde in Erfüllung gehen . Sie würde ein Kind bekommen. Nichts anderes füllte ihr Herz.
Zum verabredeten Zeitpunkt fanden sie sich in der Residenz derer von Torgelow ein. Voller Erwartung sah sie sich nach Pferden und der Kutsche mit dem Wappen ihrer Familie um, doch der Fürst schien noch nicht angekommen zu sein.
In der Halle begleitete sie zunächst noch ihr Glücksgefühl, doch von Minute zu Minute wurden ihre Schritte schwerer, bis sie nur noch unruhig auf und ab lief. Schon seit Tagen war sie von einer unbestimmten Angst erfüllt. Immer wieder blickte sie aus dem Fenster. Da erkannte sie einen Boten aus Schloss Torgelow, der im Eiltempo auf die Residenz zuritt. Die Gewissheit kam aus dem Nichts und erfüllte sie augenblicklich.
Zitternd trat sie an Wenzels Seite und ergriff seinen Arm, wartete mit pochendem Herzen, bis sie den Brief des Boten in der Hand hielt.
Meine liebste Tochter,
du warst und bist die Sonne meines Herzens. Niemals war ein Vater stolzer auf sein Kind als ich. Nun, da ich auf der Schwelle zu einer anderen Welt stehe, ist es mir, als würde ein Schleier vor meinen Augen zerreißen. Ein Schleier, der mir, so sehr ich mich auch bemühte, die Sicht genommen hatte.
Heute weiß ich, mein holdes Kind, dass an deinen Gaben und deinen Träumen nichts Falsches ist. Falsch ist einzig die Zeit, die nicht reif dafür ist. So bitte ich dich, nimm dich in Acht, doch zweifle nicht an dir.
Liebste Tochter, ich will mich hier und jetzt von dir und deinem trefflichen Gatten, der mein Freund ist, verabschieden. Ehre mein Gebot und reise nicht nach Torgelow. Gedenke meiner in deinem neuen Schloss und halte mich in deinem Herzen.
Ich bin müde,
In Liebe, dein Vater
Amalia schluchzte auf, der Brief entglitt ihren Händen.
Wenzel bückte sich, hob ihn auf und überflog die Zeilen. »Wir sollten seinen Willen achten.«
Amalia nickte, das Herz tränenschwer, mit brennenden Augen vor plötzlicher Einsamkeit, die sich wie ein dunkler, alles erstickender Mantel um sie schloss. Trotz der Nähe ihres Mannes fühlte sie sich, als wäre sie der letzte verbliebene Mensch auf der Welt, dem alles Glück, jede Hoffnung, sogar der winzigste Schimmer auf eine frohe Zukunft gewaltsam entrissen worden war.
Wie hatte sie sich auf das Treffen gefreut – und nun würde sie den geliebten Fürsten vielleicht nie wiedersehen. Niemals hatte sie daran gedacht, dass ihn eines Tages der Tod ereilen würde und nie wollte sie zulassen, sich mit diesem Gedanken überhaupt abzugeben.
Sie blieben noch eine Nacht in Wien, dann reisten sie nach Falkenfried zurück.
*
Erasmus streckte den Rücken durch und griff nach Feder und Tinte auf seinem Schreibtisch. Mit der Linken wischte er unruhig über das Holz, ebenso rastlos, wie die Suche nach Auskünften über die Gräfin und den Grund ihrer nicht standesgemäßen Heirat seine Gedanken aufwühlte. Fünf volle Jahre beschäftigte ihn das Problem bereits und ließ ihn einfach nicht los, im Gegenteil. Er sah es als seine gottgegebene Pflicht, die Wahrheit herauszufinden und seinen Freund Wenzel vor Unheil zu bewahren. Und sollte er Jahrzehnte benötigen!
Wo immer er Erkenntnisse erhoffte, stieß er auf eine Mauer aus Schweigen. In Falkenfried fühlte er sich als ungern gesehener Gast und die ablehnende Haltung der Gräfin erschwerte seine Bemühungen. Erst die alarmierenden Nachrichten über Alexejs Gesundheitszustand hatten ihn auf eine neue Idee gebracht.
Mit Schwung setzte er seine Unterschrift unter die Depesche nach Torgelow, in der er anbot, dem Schwiegervater des geschätzten Freundes mit seinen nicht unerheblichen medizinischen Kenntnissen zur Seite zu stehen.
Mit den ersten wärmeren Tagen machte er sich auf den Weg. Seine erste Etappe führte ihn nach Falkenfried. Statt Wenzel seine Aufwartung zu machen, erfuhr er, dass sich der Graf und die Gräfin in Wien mit dem Fürsten treffen wollten, ein Umstand, der seine Reise verlangsamte, ihm aber Gelegenheit bot, sich mal
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