Die Graefin der Woelfe
streichelte ihm mit klammen Fingern über die Hand.
»Es geht alles vorüber, Sohn, auch die Trauer hat ein Ende und eines Tages wirst du jemanden lieben, so sehr, wie ich dich liebe. Also höre zu, was ich dir zu erzählen habe.«
Er machte eine Pause, in der Jakobus schon glaubte, sein Vater hätte die Kraft verloren, die Worte noch zu finden, da sprach er endlich weiter.
»Siehe, des Fürsten Mutter kam auf den Hof, da war ich gerade geboren. Für mich war sie immer schon da, aber sie war keineswegs eine Fürstin, als sie kam, nein, sie war eine Magd.«
Jakobus nickte, die Geschichte war bekannt.
»Doch die junge Magd war nicht die Erste ihrer Sippe, die auf dem Hof ein- und ausging. Bereits ihre Mutter war ein gern gesehener Gast auf Schloss Torgelow. Ich erinnere mich nur wenig an sie, doch wo sie ging, legten sich ihr die Hunde zu Füßen und ich wohl auch, zumindest sagte das meine Mutter.«
Jetzt liefen dem Alten Tränen über das Gesicht, er ließ es ungerührt geschehen. Jakobus‘ Herz zog sich zusammen.
»So undeutlich meine Erinnerung an ihre Lebzeiten ist, so deutlich erinnere ich mich an ihren Tod. Es war ein kalter, klarer Wintertag. Ich hatte dicke Wollsocken in den Schuhen und eine Mütze auf dem Kopf, ich weiß es noch genau. Es war ein Befehl ergangen, dass ein jeder sich auf dem Richtplatz einzufinden hatte, auch Kinder und Frauen. Das war noch nicht vorgekommen und ich nehme an, ich war aufgeregt, doch meine Eltern weinten, also weinte auch ich. Sie waren alle versammelt, Vornehm und Gering, Alt und Jung. Alle waren sie da, nur der Fürst fehlte und Ilonka, die noch ein Kind war.«
Sein Vater schwieg. Er atmete schwer und es schien beinahe, als könnte er dieses Mal tatsächlich nicht weitersprechen, doch dann fuhr er mit einer seltsam brüchigen Knabenstimme fort.
»Sie brachten sie auf einem Karren. Ich hatte sie zuerst nicht erkannt, doch ich weiß noch, wie sie zugerichtet waren. Des Fürsten Großmutter ging aufrecht, sie war stolz, noch immer, trotz der deutlich sichtbaren Wunden. Sie straffte die Schultern; wie eine Heilige sah sie aus.«
Veit nahm dankbar den Becher aus Jakobus’ Hand und trank.
»Ich werde den Gestank nicht vergessen, bei allen Heiligen, niemals vergesse ich diesen Gestank. Und dann hat sie geschrien, geheult hat sie, und alle Kreaturen haben ihr geantwortet. Das ganze Tal erschallte von ihrem Geheul. Als wir im Schloss ankamen, wusste Ilonka, was geschehen war. Niemand hatte es ihr gesagt, aber sie wusste es, und der Fürst hatte Angst um sie. Es dauerte nur ein Jahr, dann wurden die Vorwürfe laut. Die Alte habe mit den Wölfen im Bunde gestanden und Ilonka ebenso. Der Fürst verging beinahe vor Kummer und Angst. Das Mädchen war mittlerweile zu einer Schönheit herangewachsen und auch ihr legten sich die Hunde, wo immer sie ging, zu Füßen. Alexejs Vater wusste nicht, wie er sie schützen sollte. Schließlich kam ihm die einzige Möglichkeit in den Sinn, die es noch gab. Er verlor keine Zeit. Am selben Tag bestellte er den Priester, erst dann fragte er sie. Ich war noch immer ein Dreikäsehoch, aber ich erinnere mich gut an ihren ungläubigen Gesichtsausdruck. Ja, und ein Jahr später war sie gesegneten Leibes und eine Dame. Ich habe nie mehr Fangen mit ihr gespielt.«
Veit blickte Jakobus tief in die Augen. »Einige Nachfahren der Richterová s haben eine außergewöhnliche Begabung. Es trifft nur die Mädchen und von ihnen auch nicht alle. Sie können mit den Tieren sprechen und noch vieles mehr. Mein Vater wusste davon. Ilonkas Mutter war hellsichtig, und auch wenn sie diese Gabe nicht vollständig an ihre Tochter weitergegeben hatte, so hatte auch die Fürstin eine außergewöhnliche Begabung im Umgang mit allem Getier und sie wusste im Voraus, wenn schlimme Dinge geschehen sollten. Wenige Tage vor ihrem Tod hatte sie mir aufgetragen, wachsam zu sein. Das habe ich getan und tue es noch immer, indem ich die Aufgabe an dich weitergebe. Noch hat keines der Kinder des Fürsten die Begabung seiner Familie geerbt. Aber die Welt steht noch lange nicht still und jetzt, da ich bald nicht mehr bin, sollst du mein Geheimnis bewahren, bis der Tag kommt, an dem du verhindern musst, dass noch einmal geschieht, was niemals hätte geschehen dürfen.«
Der Wolf heulte.
Jakobus schrak aus seinen Traumbildern auf. Beinahe hätte er seinen Eid gebrochen. Er hatte die Gefahr gekannt und unterschätzt. Der Angriff kam unerwartet aus sicher geglaubtem Terrain. Es
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