Die Graefin der Woelfe
Unwillkürlich blickte er zu der Stelle, wo das fürchterliche Tier nun friedlich graste. Der junge Fürst schnaubte verächtlich. »Beinahe will ich glauben, dass Sie meinen Oheim vom Pferd gerissen haben!«
Angst sprang ihn an wie ein Alb. Er spürte, wie sein Hals eng wurde, seine Stimme drohte, zu versagen. Doch er war schwierige Situationen gewöhnt. Er konnte sich selbst beruhigen, eine Fähigkeit, die er in seinem Beruf dringend benötigte. Ganz allmählich fasste er sich, seine Stimme wurde fester. Er maß den jungen Mann von oben bis unten und klaubte den nötigen Hochmut zusammen.
»Gestatten Sie, werter Herr Fürst, dass ich mich jetzt um meine Arbeit kümmere. Ihr Oheim ist verletzt. Er bedarf dringender Hilfe, wir sollten ihn so schnell wie möglich zum Schloss zurückbringen.«
Der Fürst fasste ihn fest ins Auge. Dann zog er seinen Überrock aus und befahl den herbeigeeilten Jagdhelfern, zwei starke Äste zu schneiden.
Nach wenigen Handgriffen hatten sie eine behelfsmäßige Trage gefertigt, wie sie sich tausendfach auf den Schlachtfeldern bewährt hatte. Vier Männer hoben den Grafen behutsam auf, wobei Erasmus den Kopf seines Freundes höchstselbst mit den Händen stützte. Auch während des Transportes schritt er neben dem Grafen einher, stets bemüht, ihm alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
*
Irritiert blickte Amalia um sich. Wo war sie und was hatte sie hergeführt? Sie schloss die Augen. Das Bild eines reiterlosen Pferdes stand deutlich vor ihr. Sie betrachtete es erneut, als sähe sie es leibhaftig vor sich. Es gab keinen Zweifel, der Rappe ihres Mannes hatte eine Last hinter sich hergezogen.
»Wo ist er?« Die Festigkeit ihrer Stimme verwunderte sie. »Haben sie ihn schon gebracht?«
Während sie sprach, stand sie auf, ruhig, überlegt, ohne zu zögern. Sie strich sich den Rock glatt, fuhr sich mit fahrigen Händen über ihr Haar und eilte nach oben. Schweigen folgte ihr.
Von draußen drang gedämpfter Lärm herauf. Männer riefen, Hunde bellten, dazwischen der Klang schwerer Stiefel auf nassem Kies. Man brachte Graf Wenzel die Treppe hinauf, vorbei an den daheimgebliebenen Damen, die alle versammelt waren. Amalia eilte hinterher, die behelfsmäßige Trage fest im Blick.
Im Inneren des Schlosses öffnete einer der Träger eine verdeckte Tür, die in einen kleinen, fensterlosen Raum führte. Hier stand eine Anrichte, auf der Speisen und Geschirr für die großen Bankette zwischengelagert wurden. Sie war gerade groß genug, um den bewegungslosen Körper des Herrn darauf abzulegen. Mit einer einzigen Armbewegung räumte der Mann sie leer. Aufatmend legten sie den Verletzten nieder.
Amalia hatte von den Männern unbemerkt die Kammer betreten. Jetzt trat sie nach vorn, scheuchte die Zuschauer und Helfer aus dem Raum, bis sie mit dem Doktor, Wenzel und einem Diener allein war. Sie beugte sich über ihren Mann, berührte zärtlich das geliebte Gesicht. Ein Flackern hinter geschlossenen Lidern zeigte ihr, dass er noch lebte.
Erasmus öffnete das Jagdgewand des Grafen und untersuchte den Verletzten gründlich und umsichtig.
Amalia schickte nach ihrem Neffen und der Fürst trat ein. Er verbeugte sich knapp, ehe er zu seinem Oheim ging und den Verunglückten eingehend betrachtete. Sein Mienenspiel schien nichts Gutes zu bedeuten. Entsprechend kühl fixierte er den Doktor.
»Er hätte das Rennen beinahe gewonnen. Wie ist es nur möglich, dass ein solch gewandter Reiter einfach vom Pferd stürzt? Ich kann es kaum glauben.«
Amalia blickte auf. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie zu keinem Zeitpunkt gefragt hatte, was mit ihrem Gatten geschehen war. Sie wusste, dass er verletzt war, wusste es im Grunde schon lange, bevor sie ihn nach Hause gebracht hatten. Sanft legte sie ihre Hand auf den Arm des jungen Torgelow.
»Lieber Neffe, ich übertrage Ihnen für den heutigen Abend die Aufgabe des Gastgebers. Bitte sorgen Sie dafür, dass unsere Gäste in den Spiegelsaal gehen. Wir wollen Ihren Oheim in seine Gemächer bringen.«
Der junge Fürst tat, worum er gebeten ward und bald darauf herrschte Stille vor der Tür.
Mithilfe von zwei Lakaien brachten sie Wenzel nach oben in die Kammer, wo Erasmus ihn zur Ader ließ. Mehr könne er derzeit nicht tun, erklärte der Doktor.
Amalia, froh, die finstere Gestalt schleunigst loszuwerden, bat ihn, zu gehen.
Endlich allein ließ sie sich auf einen Stuhl am Kopfende des Bettes sinken. Noch immer hatte Wenzel das Bewusstsein nicht
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