Die Graefin der Woelfe
wiedererlangt. Sie streichelte ihm die Wangen und netzte seine Lippen mit verdünntem Wein. Sie spielte mit einer noch immer schwarz schimmernden Locke.
Ein Lächeln lag auf ihren Lippen, sie wollte den Schmerz nicht zulassen. So saß sie, streichelte sein Haar und benetzte seine Lippen. Es gab keine Zeit, keinen Ort, nur Wenzel und sie. Sein Haar, seine Lippen – der Versuch, den Schmerz nicht zu spüren.
»Frau Gräfin, so hören Sie doch endlich.«
Irritiert blickte Amalia auf. Marijke hatte sie am Arm gepackt. Im Hintergrund stand das Mädchen mit dem schreienden Säugling. Sie hatte nicht bemerkt, wann und wie sie in die Kammer getreten waren und es interessierte sie auch nicht. Amalia wandte sich wieder ihrem Gatten zu, strich ihm das Haar aus dem Gesicht und fuhr fort, seine Lippen mit dem feuchten Tuch zu netzen.
»Prinzessin, so hören Sie doch, Elena schreit. Das Kind hat Hunger!«
Elena! Der Klang des Wortes ließ sie erneut aufschauen. Es stimmte, das Kind schrie. Amalia stand auf und Marijke begann, ihr das Mieder aufzuschnüren. Amalia nahm das Kind auf den Arm und legte es an die Brust. Mit der freien Hand spielte sie noch immer mit Wenzels Haaren. Der Säugling weinte erneut. Sie reagierte nicht darauf, durchfeuchtete das dünne Tuch und benetzte Wenzels Lippen, seine Locken waren noch immer schwarz.
Elenas Schreien wurde lauter. Die Kinderfrau trat einen Schritt nach vorn, legte das Kind an die andere Brust, das Schreien ebbte nicht ab. Jetzt kam auch Marijke näher, hielt gemeinsam mit dem Mädchen den Kopf über Mutter und Kind gebeugt.
»Oh gütiger Jesus«, presste Lotta hervor. Sie zeigte auf Amalias Brust. »Sehen Sie nur, keine Milch«, und mit lauter Stimme fügte sie hinzu: »Frau Gräfin, die Milch. Sie haben keine Milch mehr für Elena.«
Amalia hörte die Worte und verstand sie nicht. Sie benetzte Wenzels Lippen mit dem Tuch. Er würde bald aufwachen, dann wäre alles wieder gut. Ohne von ihrer Tätigkeit aufzusehen, ließ sich Amalia das Mieder wieder schnüren, die beiden Frauen und das schreiende Kind verließen den Raum. Es war gut so, so war sie allein mit ihrem Mann, bis er endlich wieder erwachte.
*
Erasmus wurde bereits ungeduldig im Spiegelsaal erwartet. Augenblicklich sah er sich von den Gästen umringt.
»Wie geht es dem Grafen?«
»Wird er wieder gesund werden, Doktor von Spießen?«
»Haben Sie gesehen, wie der Graf vom Pferd gestürzt ist?« Solche und ähnliche Fragen prasselten auf ihn ein.
Einer der Gäste bot ihm einen Stuhl an und drückte ihm ein wohlgefülltes Glas Wein in die Hand.
»Setzen Sie sich, Doktor, und trinken Sie auf den Schrecken erst einmal ein Glas von Wenzels gutem Roten.«
»Man hat gehört, der Graf wäre auf seine Kammer gebracht worden«, ließ sich ein anderer vernehmen. »Demzufolge gibt es Hoffnung, oder?«
»Ja, geben Sie uns Hoffnung«, rief eine der Damen.
Erasmus blickte um sich. Die Kleider der Damen raschelten und die Fächer, mit denen sie sich Kühlung zuwedelten, sirrten durch die Luft. Selten kam er diesen Menschen, solange sie gesund waren, so nahe wie heute. Er roch neben den üblichen Körpergerüchen den Duft von Lavendel und Veilchen, von Tabak und Alkohol. Erasmus räusperte sich, sofort wurde es um ihn herum still. Mit leiser Stimme begann er seinen Bericht.
»Nun, es ist wahr, ich habe den Grafen auf Bitten der Gräfin auf seine Kammer bringen lassen. Selbstverständlich habe ich seinen Körper vorher auf Hämatome oder Frakturen untersucht. Dabei konnte ich keinen weiteren pathologischen Befund feststellen und habe mich auf die Schädelfraktur konzentriert. Ein Monokelhämatom, das sich periorbital ausgebreitet hat, sowie eine Hämatoskopie lassen keinen Zweifel an meiner Diagnose. Ich habe den Patienten einer Phlebotomie unterzogen.« Mit jedem seiner Worte wurde das allgemeine Geraschel, das am Anfang seines Berichts fast verstummt war, wieder lauter. Er verlor die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer. Bald schon kamen die ersten Zwischenrufe.
»Was will Er uns damit sagen? Wird der Graf überleben oder nicht?« Dieser Ruf erreichte ihn.
Vor allem die Form der Anrede war erschreckend. Erasmus sammelte sich. Seine Zuhörerschaft war anspruchsvoll, und er wollte sie nicht enttäuschen.
»Es ist mir sehr wichtig, den hohen Herrschaften den medizinischen Sachverhalt genauestens zu schildern. Aber Sie haben recht, ich hätte beinahe vergessen, dass auch Damen anwesend sind.« So galant es ihm möglich
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