Die Graefin der Woelfe
einigen Jahren abgerissen und unglücklich an die Tore von Falkenfried geklopft und der heute eine so glückliche Hand mit den Pferden hatte. Unter diesen und anderen Geschichten verflog die Nacht wie im Fluge.
Als sich Jakobus endlich in seinen Mantel hüllte, begann es beinahe schon wieder zu dämmern. Es war ein schöner Abend gewesen, so schön, wie er ihn lange nicht mehr erlebt hatte.
Am Morgen zogen sie zeitig los, einen halben Laib Brot, ein großes Stück Butter und ein saftiges Stück Schinken für jeden im Gepäck. Mutter Hedwig legte den Schal um Svetlanas schmale Schultern. »Den Schal kannst du umfärben, sobald du wieder ein ordentliches Leben führst. Ich hätte ihn ohnehin nicht mehr getragen, ist mir viel zu fadenscheinig.«
*
Erasmus war noch am Tag von Wenzels Begräbnis aufgebrochen und nach Linz zurückgeeilt. Er fühlte sich im Haus seines alten Freundes nicht geehrt und die Gräfin schien sich außerdem plötzlicher Gesundheit zu erfreuen.
Jetzt saß er im Studierzimmer und beugte sich über seine Aufzeichnungen aus Ungarn, doch immer wieder schweiften seine Gedanken ab, sein Blick strich unstet durch den Raum. Nicht zum ersten Mal blieb er an der gestrickten Decke auf seinem Ruhesessel in der gegenüberliegenden Raumecke hängen. Er erinnerte sich, wie er die Wolle auf dem Markt erstanden hatte, während seine Frau – Gott habe sie selig – sich mit den beiden Söhnen an den Händen durch die dichte Menschenmenge schlängelte, um ihren Korb mit frischem Obst und Gemüse zu füllen. Längst waren die Kinder aus dem Haus und der Kontakt abgebrochen. Eine innige Beziehung hatte es ohnehin nie gegeben und woran das lag, wusste er nicht zu sagen. Nur so viel war ihm bekannt, dass der jüngere seiner Söhne als Mediziner in einem französischen Sündenbabel in der neuen Welt arbeitete, der ältere hatte wohl von dem kürzlichen Tod seiner Mutter Kunde erhalten, war aber nicht einmal zur Beerdigung erschienen.
Erasmus fuhr sich durch das schütter gewordene Haar. Er sollte aufhören, den Gedanken nachzuhängen und sich seinem dringlichsten Anliegen widmen. Nicht umsonst hatte er sich weitgehend aus der Praxis zurückgezogen, die nun von einem jungen Mann aus Weimar geführt wurde.
Nach all den Jahren sollte es doch wohl angehen, dass er endlich die Zeit fand, seine Aufzeichnungen zu überarbeiten und seine verbleibende Energie in das Studium derselben zu stecken. Ein Buch wollte er verfassen, als Erster die Krankheit Vampirismus beschreiben, katalogisieren und letztlich, das war seine größte Antriebskraft, ein Heilmittel finden. Es sollte den Leib oder die Seele kurieren, beides wäre gut, wobei der Seele jederzeit der Vorzug einzuräumen war.
Ein zaghaftes Klopfen ließ ihn aufblicken. Die Haushälterin betrat mit einem Brief in der Hand die Kammer. Ein Bote aus Falkenfried war gekommen. Erasmus betrachtete das Schreiben, erkannte die zittrige Handschrift der Zofe. Warum schrieb die Gräfin nicht selbst? Er setzte seine Lesegläser auf und vertiefte sich in Marijkes Zeilen.
Offensichtlich war die Gräfin erneut erkrankt. Diesmal schien die Krankheit mit verblüffender Heftigkeit zurückgekehrt zu sein. Er legte die Gläser wieder ab und stützte den Kopf auf die Hände. Seltsame Dinge gingen im Schloss seines Freundes vor sich. Als er die Gräfin vor wenigen Tagen verlassen hatte, hatte sie sich außergewöhnlich guter Gesundheit erfreut. Es schien, als wäre sie endlich aus ihrer katatonischen Starre erwacht.
Erasmus erhob sich und begann in der Kammer auf und ab zu gehen. Krankheit entstand durch ein Ungleichgewicht der Säfte. Dabei wurden die verschiedenen Charaktere durch unterschiedliche Körperflüssigkeiten beeinträchtigt. Die Gräfin war eine Sanguinikerin, das bedeutete, dass sie ein heiteres, zur Naivität neigendes Temperament besaß. Sie war schnell überreizt, äußerst erregbar und vor allem leicht zu beeinflussen. Die den Sanguinikern zugeschriebene Körperflüssigkeit war das Blut und ihr Element die Luft.
Blut. Erasmus blieb stehen. Das Blut der Sanguiniker war hell und näherte sich mehr dem arteriösen als dem venösen System. Was wusste er noch? Der Sanguiniker hatte viel Gefühl, aber wenig Tiefe des Gemüts; er war affektvoll und ging schnell über unangenehme Gefühle hinweg, um sich aufs Angenehmste zu zerstreuen. Hier lag es anders. Die Gräfin hatte sich nicht einfach wieder zerstreut, wie es zu vermuten gewesen wäre, sondern sie war erneut in
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