Die Graefin der Woelfe
Krankheit gefallen. Was hatte dazu geführt? Was hatte ihr Blut wiederum in Wallung gebracht? Es konnte eine äußere oder auch eine innere Begegnung gewesen sein. Wobei ihn die Zofe über eine neuerliche äußere Katastrophe sicherlich unterrichtet hätte.
Er trat ans Fenster. Was für einen Grund hatte sie, unruhig zu sein? Zum wiederholten Male spielte sich vor seinem inneren Auge die Szene ab, die letztlich zum Tode des Grafen geführt hatte. Je öfter er sie imaginierte, umso deutlicher traten Einzelheiten hervor. Sein braver Apfelschimmel war äußerst unruhig gewesen, die Kreatur hatte sich kaum zügeln lassen. Verwunderlich, dass er mit dem Pferd solch ungewöhnliche Schwierigkeiten gehabt hatte. Immerhin war er schon einige Jahre mit dem Grafen zur Jagd geritten und hatte den Umgang mit den Pferden weidlich geübt. Was hatte das sensible Tier so beunruhigt? Was hatte den Rappen des Grafen zum Steigen veranlasst? Es hatte eine Irritation von außen gegeben und sie hatte etwas mit einem silbernen Schweif zu tun gehabt. Einem silbernen Schweif!
Es gab nur wenige Tiere von solcher Farbe – eines war der Wolf. Ohne Zweifel, es konnte nicht anders gewesen sein. Er, Erasmus Martin von Spießen, hatte den Wolf gesehen. Wie kam es, dass das Tier im Dunstkreis der Gräfin immer wieder eine solche Rolle spielte?
Es war dunkel geworden. Erasmus zog die Vorhänge zu und ließ sich schwer auf seinen Stuhl sinken. »Absit omen«, stieß er hervor, »möge dies kein schlimmes Omen sein.«
Am frühen Morgen des Folgetages machte er sich an der Seite des Boten auf den Weg nach Falkenfried. Sie waren kaum aus der Stadt heraus, als Erasmus einen Einspänner erblickte, der aus einer Seitenstraße kommend auf sie zuhielt. Er beugte sich vor und öffnete das kleine Fenster, um mit dem Kutscher, einem jungen Burschen namens Jelko, zu sprechen.
»Haben Sie den Einspänner gesehen?«
Der Fahrer brummte etwas, das ebenso gut ein Ja wie ein Nein hätte sein können.
»Ich möchte fast glauben, das sei der Einspänner des Grafen, der gleiche, mit dem die Hebamme unterwegs war.«
»Ist gut möglich«, brachte Jelko kauend und kaum verständlich hervor.
»Was will die Hebamme hier? Es gibt in Linz viele gute Wehmütter.«
»Hm.«
»So lass Er sich doch nicht alles aus der Nase ziehen!« Erasmus erhob, nun ärgerlich geworden, seine Stimme. Statt einer Antwort spuckte Jelko ein dickes braunes Paket über den Kutschbock.
»Das ist nicht die Hebamme, das wird Jakobus sein. Der ist auf der Suche nach einer Amme für die Komtess«, erwiderte er wenig freundlich.
»Natürlich«, murmelte Erasmus, schloss das Fenster und lehnte sich zurück in die Polster. Er schloss die Augen, versuchte, noch ein wenig zu schlafen. Warum fuhr Jakobus bis nach Linz, um eine Amme zu suchen? Schlagartig richtete er sich wieder auf und öffnete das Fenster erneut. »Gibt es keine Wöchnerinnen in Zwinzau? Oder ist eine Epidemie ausgebrochen?« Dann hätte er mehr Medikamente mitnehmen müssen und vielleicht eine der Karmeliterinnen, die seit Neuestem in seiner Praxis arbeiteten und sich dort beinahe unentbehrlich gemacht hatten.
»Nein, das schon nicht. Aber die Frauen trauen sich nicht.«
Erasmus öffnete das Fenster nun ganz und setzte sich auf die Bank hinter den Kutscher. »Wovor haben die Frauen Angst?«
Jelko blickte verbissen nach vorn.
Erasmus wusste, dass die meisten Dienstboten in Falkenfried ihn nicht mochten, aber er hatte Zeit und würde den schweigsamen Bauernlümmel schon zum Reden bringen. Er zog seinen Mantel fester um sich, richtete sich auf der Rückbank etwas bequemer ein und ließ keinen Zweifel, dass er so lange gedachte, hinter dem Kutscher sitzen zu bleiben, bis dieser Rede und Antwort stand.
Jelko räusperte sich. »Die Leute glauben, das geht nicht mit rechten Dingen zu. Das mit dem Unfall und so.«
»Aha!« Diesmal verlegte sich Erasmus aufs Schweigen.
Die beiden Pferde fanden ihren Weg fast allein. Sie waren ausgeruht und trabten fröhlich vor sich her. Es gab nichts zu tun für den Kutscher, der immer unbehaglicher auf seinem Bock saß.
Als das Schweigen zu lange dauerte, knurrte er: »Sie denken, das Kind sei von einem Wolf und der habe auch den Grafen getötet.«
»Aha, und was denkst du?«, fragte Erasmus in die Stille.
»Ich denke nichts«, antwortete Jelko. Er kramte eine weitere Ladung Kautabak aus und steckte sie in den Mund.
Erasmus sah ihm angewidert zu, wie er die braune Masse von rechts nach
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