Die Graefin der Woelfe
offen standen. Sie schritten durch ein kleines Ankleidezimmer und kamen in das Schlafzimmer, in dem die Komtess in einem durch Mangel erzeugten Dämmerzustand in ihrer Wiege lag. Dahinter befand sich ein weiterer Raum, aus dem leise Stimmen zu hören waren.
Amalia hatte sich niemals um das Gerede der Dienerschaft gekümmert. Diese stummen Geister waren da, wenn man sie brauchte, und darüber hinaus waren sie vergessen. Diesmal jedoch war es anders. Zum ersten Mal in ihrem Leben wollte sie hören, was ihre Dienstboten zu flüstern hatten. Mit gespitzten Ohren schlich sie zur Tür.
»Du wirst sehen, sie werden keine finden. Nicht im Dorf und auch nicht im Nachbardorf.«
»Ist ja auch kein Wunder, so, wie die es mit den Wölfen …«
Ein lautes Scheppern ließ das Kindermädchen verstummen. Amalias Kopf fuhr herum. Marijke hatte einen Leuchter fallen lassen, der mit lautem Knall in tausend Stücke zerborsten war. Lotta und der Lakai fuhren auseinander. Der junge Mann nutzte die allgemeine Aufregung und floh durch eine Tapetentür in den unentwirrbaren Teil des Schlosses. Das Mädchen stand schlotternd vor seiner Dienstherrin.
»Wer wird was nicht finden?«, verlangte Amalia zu wissen. Die Schärfe ihrer Stimme war ihr fremd und unheimlich.
»Frau Gräfin.« Das Mädchen ließ sich in einen tiefen Knicks fallen.
»Sei nicht albern, steh auf und sag mir, wovon du gesprochen hast.«
Lotta erhob sich, in ihrem Blick lag eine Mischung aus Mitgefühl und Angst. »Die Leute reden, Frau Gräfin, und es traut sich keine, der Komtess als Amme zu dienen.«
Bleiernes Schweigen senkte sich über die Anwesenden, es schien, als würden alle wissen, was vor sich ging.
Amalia ließ sich auf einen Fauteuil sinken. »Sagt mir, was hier los ist! Und du«, sie nickte in Lottas Richtung, »geh und ruf nach Lucia, sie soll meine Tochter so lange anlegen, bis sie endlich wieder Milch hat.«
Nachdem das Mädchen verschwunden war, richtete sich Amalias Blick bohrend auf die beiden Frauen. Es war Marijke, die zaghaft das Wort ergriff.
»Die Leute reden und Sie wissen, die Leute sind abergläubig.« Resigniert hob die Zofe ihre Schultern, viel leiser fuhr sie fort. »Sie glauben, die Komtess bringe Unglück.«
Amalia fuhr auf. »Mein Kind, mein unschuldiges, süßes Kind, das niemandem etwas getan hat, soll Unglück bringen? Und deshalb soll es verhungern?«
Margeth hatte Amalias Hand ergriffen. »Nein, nicht das Kind. Also nicht Elena soll Unglück bringen.«
»Was dann, was reden die Leute? Muss ich mir erst eine Kapuze anziehen und selbst in die Schenke gehen, um zu erfahren, was in meiner Grafschaft über mich gesprochen wird?« Amalia hatte in ihre alte Kraft und Stärke gefunden. Herausfordernd stemmte sie die Hände in die Hüften.
»Nein«, wehrten Marijke und Margeth gleichzeitig ab.
»Die Leute fürchten das Unglück, das über Sie gekommen ist. Sie können nicht verstehen, wie der Herr zu Beginn des Jahres Ihr Leben mit Glück erfüllt hatte und wie vollständig er nun von Ihnen abgerückt ist.«
»Aber ist das nicht der Lauf der Welt? Glück und Unglück?«
»Das Maß, Frau Gräfin«, versuchte Margeth zu erklären. »Das Maß ist so groß. So viele Jahre hatten Sie keine Kinder bekommen. Dann kam die Komtess zu einer Zeit, in der andere Frauen schon nicht mehr empfangen. Und dann stirbt der Graf.«
Amalia blickte noch immer ungläubig von einer zur anderen.
Marijke versuchte es erneut. »Diese unglückseligen Wölfe. Alles hat mit den Wölfen angefangen oder besser noch mit Quintus.« Erschreckt biss sie sich auf die Lippen. Es war nur zu deutlich, dass sie mehr gesagt hatte, als sie sagen wollte.
Alles hatte mit Quintus angefangen! Amalia horchte auf. Wieder einmal war es der Hund gewesen und mit ihm die seltsame Gabe. Sie hatte Unglück über sie und die Ihren gebracht. Wieder einmal wusste Amalia nicht, was sie getan hatte. War es möglich, zu sündigen, ohne es zu wollen? Ohne zu wissen, dass man sündigte? War das ein Zeichen, dass sie doch von einem Dämon besessen war? Ein Dämon, den sie glaubte, besiegt zu haben und von dem ihr Vater immer sagte, es gäbe ihn gar nicht?
Amalia versuchte, Haltung zu bewahren. Beinahe tonlos stellte sie ihre nächsten Fragen. »Was ist mit Quintus? Was hat all das mit Quintus zu tun?«
Beide Frauen wechselten immer schnellere Blicke. Schließlich fasste sich die Hebamme ein Herz und begann zu erzählen. Sie erzählte von Beginn an. Von Libuses entstelltem Kind und dem
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