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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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schnellte. Sie kreischte. Ich lachte.
       Als sie mich hörten, sahen sie zu uns auf, und ein Ausdruck sprachlosen Entsetzens erschien auf ihren Gesichtern; es war, als seien sie die Besucher eines Zoos, die versehentlich in einem seiner Käfge gelandet waren. Sherif Candle trottete voran, seine Hand umspannte den Revolver. Er starrte mit zusammengeknifenen Augen zu uns herauf, als ob er in die Sonne sehen müßte. „Da schau mal einer …" begann er und wurde von Mrs. Buster scharf unterbrochen: „Sherif, wir sind übereingekommen, das Hochwürden zu überlassen." Es war eine ihrer Lebensregeln, daß ihr Gatte, als der Vertreter Gottes, bei allen Vorkommnissen das erste Wort haben müsse. Hochwürden Buster räusperte sich, und seine Hände, die er aneinander rieb, machten ein schabendes Geräusch wie putzende Insektenfühler. „Dolly Talbo", sagte er mit einer Stimme, die für einen so ausgemergelten und kümmerlichen Mann sehr volltönend war, „ich spreche zu dir im Namen deiner Schwester, dieser gütigen, hilfreichen Frau …"
       „Das ist sie", sang seine Gattin, und Mrs. Macy Wheeler plapperte es ihr nach.
       „… die an diesem Tage einen schweren Schlag erlitten hat."
       „Das hat sie", bestätigten als Echo die Damen mit ihren geübten Betschwesterstimmen.
       Dolly sah Catherine an und berührte meine Hand, als wünsche sie von uns eine Erläuterung, was diese Ansammlung da unten vorstelle, die sich erhitzt wie eine Hundeschar um einen Baum mit gestellten Opossums sammelte. Unbewußt und vermutlich nur, um etwas in der Hand zu haben, nahm sie eine von Rileys zurückgelassenen Zigaretten.
       „Schande über dich", schrie Mrs. Buster und warf ihren winzigen kahlen Kopf unwillig zurück. Wer sie einen alten Bussard nannte, und das taten manche, sprach nicht allein von ihrem Charakter. Zu ihrem kleinen lasterhafen Kopf hatte sie hohe Schultern und einen pompösen Bauch. „Schande über dich, sage ich. Wie kannst du dich so weit von Gott entfernen, daß du im Baum sitzt wie ein betrunkener Indianer und an Zigaretten suckelst wie ein gewöhnliches …"
       „Flittchen", ergänzte Mrs. Macy Wheeler.
       „… Flittchen, während deine Schwester elendiglich darniederliegt."
       Vielleicht hatten sie recht, Catherine als gefährlich zu bezeichnen, denn jetzt bäumte sie sich auf und schrie: „Pfafenweib, nenn uns nicht Flittchen, Dolly und mich, sonst komm ich herunter und schlage dich krumm." Glücklicherweise konnte niemand sie verstehen; sonst hätte der Sherif sie wahrscheinlich, ohne Übertreibung, durch Kopfschuß erledigt, und viele Weiße in der Stadt hätten ihm rechtgegeben.
       Dolly schien betäubt, doch gleichzeitig beherrscht. Sie knipste lediglich ein wenig Staub von ihrem Rock: „Überlegen Sie einen Augenblick, Mrs. Buster, dann werden Sie zugeben, daß wir uns näher bei Gott befnden – um einige Meter näher."
       „Ausgezeichnet, Miß Dolly. Das nenne ich eine gute Antwort." Der Mann, der das rief, war der Richter Cool. Er klatschte in die Hände und kicherte beifällig. „Natürlich sind sie Gott näher", bestätigte er, unerschrocken vor den mißbilligenden, feierlichen Mienen ringsum. „Sie sind in einem Baum, und wir sind auf der Erde."
       Mrs. Buster fuhr wie ein Wirbelwind zu ihm herum. „Ich dachte, Sie wären ein Christ, Charlie Cool. In meine Aufassung vom Christlichen paßt es nicht, daß man eine arme verrückte Frau ermutigt und auslacht."
       „Überlege es dir, Telma, ehe du jemand verrückt nennst", erwiderte der Richter; „das ist auch nicht besonders christlich."
       Der Reverend Buster eröffnete seinerseits das Feuer. „Antworte mir, Richter! Weshalb bist du mit uns gegangen, wenn du nicht den Willen des Herrn erfüllen wolltest im Geist der Gnade?"
       „Den Willen des Herrn?" fragte der Richter ungläubig. „Du begreifst das nicht besser als ich, was hier geschieht. Vielleicht hat der Herr diesen Leuten befohlen, in einem Baum zu leben; du wirst schließlich zugeben, daß er dir nicht befohlen hat, sie herunterzuholen – wenn nicht, natürlich, Verena Talbo der Herr ist, eine Teorie, der mehrere von euch Glauben beimessen, he Sherif? Nein, mein Herr, ich bin nicht mitgekommen, um jemanden den Willen zu tun, außer mir selbst, was lediglich heißt, daß ich in Laune war, einen Spaziergang zu machen. Die Wälder sind sehr schön um diese Jahreszeit." Er pfückte einige Hundsveilchen und steckte sie in

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