Die Grauen Herrscher
unseren Geräten ebenbürtig ist«, erklärte Kinnison nachdenklich. »Allein diese Tatsache ist schon sehr interessant.«
»Was soll ich unternehmen?«
»Nichts. Vielleicht können Sie herausfinden, ob in letzter Zeit einige Freunde und Bekannte der Dame thionitsüchtig geworden sind. Aber seien Sie vorsichtig. Ich werde mir die Gräfin persönlich vornehmen. Allerdings glaube ich kaum, daß sie sehr interessant für uns ist. Mehr als eine Anfangsspur kann ich wohl nicht erhoffen.«
In den nächsten Tagen konzentrierte sich der Lens-Träger auf die Erkundung fremder Gedanken, wobei er so behutsam vorging, daß keine Spur seines Eindringens zurückblieb. Er beschäftigte sich mit Männern und Frauen der verschiedensten Gesellschaftsklassen – mit Kellnerinnen, Botschaftern, Bettlern und Bankdirektoren ebenso wie mit Buchmachern, Prälaten und LKW-Fahrern. Seine Suche führte ihn von Stadt zu Stadt, wobei er nur etwa ein Prozent seines gewaltigen Geistespotentials auf seine Rolle als Chester Q. Fordyce verwandte – die übrigen neunundneunzig Prozent setzte er für seine Aufgabe ein.
Er kehrte schließlich nach Ardith zurück und näherte sich spät in der Nacht dem Haus des Grafen Avondrin. Ein Diener ließ den Besucher ein, ohne sich hinterher daran zu erinnern. Die Gräfin hatte einen leichten Schlaf, doch ehe sie einen Schrei ausstoßen konnte, legte sich ihr eine feste Hand auf den Mund. Gleichzeitig wurde ihr Gedankenschirm abgeschaltet. Der unbekannte Eindringling war am Ziel.
Minuten später kehrte Mr. Fordyce in sein Hotel zurück und setzte sich mit Lens-Träger Gerrond in Verbindung.
»Denken Sie sich eine Entschuldigung dafür aus, daß Sie morgen früh einige Wächter oder Polizisten vor Graf Avondrins Stadtvilla postieren. Um etwa acht Uhr zwanzig wird die Gräfin einen Anfall haben.«
»
Was haben Sie mit ihr
... Ich meine – was wird sie anstellen?«
»Nichts Besonderes. Sie wird ein wenig schreien, wild durch die Gegend rennen und jeden angehen, der ihr zu nahe kommt. Bereiten Sie Ihre Leute darauf vor, daß die Dame tritt, kratzt und beißt. In ihrem Zimmer werden sich die Spuren eines Einbruchs finden – doch wenn Ihre Leute den Schuldigen jemals erwischen, sind sie gut. Gräfin Avondrin wird den Eindruck machen, als sei ihr Serum eingespritzt worden, das die Ärzte natürlich nicht bestimmen können. Aber was auch geschieht – es kann nicht die Rede davon sein, daß sie den Verstand verloren oder sonstwie einen dauerhaften Schaden davongetragen hat. In einigen Monaten wird sie wieder völlig auf dem Damm sein.«
»Dann hat also Ihre geheimnisvolle Gedankenleserei damit zu tun?«
»Jedenfalls wird sie uns keine Schwierigkeiten mehr machen. Ich habe ihr eine Angst eingeimpft, die sie niemals überwinden wird. Sie ist für die Piraten praktisch wertlos.«
»Ausgezeichnet, Lens-Träger. Haben Sie sonst noch Wünsche?«
»Ja – ich möchte Sie gern bitten, übermorgen am Ball des irdischen Botschafters teilzunehmen.«
»Das habe ich sowieso vorgehabt. Der Ball steht auf der Liste meiner Pflichtübungen. Soll ich meine Leute mitbringen?«
»Nein, nicht nötig. Ich hätte Sie nur gern zur Stelle, falls jemand auftaucht, der den seltsamen Zwischenfall mit der Gräfin untersuchen soll. Vielleicht haben Sie Informationen über den Betreffenden.«
Eine farbenfrohe und lustige Menge hatte sich im Ballsaal der irdischen Botschaft versammelt, doch die beiden Lens-Träger waren nicht in der rechten Stimmung. Natürlich ließen sie sich nichts anmerken und wanderten langsam und anscheinend ziellos herum, ohne jemals miteinander allein zu sein.
»Wen suchen wir – Mann oder Frau?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur das Erkennungswort.«
In diesem Augenblick wurde Gerronds Aufmerksamkeit von einer Gestalt am Eingang gefangengenommen – von der atemberaubendsten Schönheit, die er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Doch er vermochte den Anblick nicht lange zu genießen, denn im nächsten Moment kamen ihm die erregten Gedanken des Freien Lens-Trägers zu Bewußtsein.
»Sie meinen ... Das kann doch nicht sein!« stammelte Gerrond.
»Da haben wir die Gesuchte!« sagte Kinnison. »Sie sieht himmlisch aus, aber Sie können mir glauben, daß das Mädchen durchaus kein Engel ist, sondern zu den gefährlichsten Schlangen gehört, die es jemals gegeben hat. Sie heißt Dessa Desplaines und stammt von Aldebaran II. Sagt Ihnen das etwas?«
»Nein, tut mir leid.«
»Kein Zweifel – sie hat mit
Weitere Kostenlose Bücher