Die grauen Seelen
vergießen konnte, ohne irgendwem zu missfallen. Weil das Hotel aus Gästemangel seine Türen geschlossen hatte, nahm er Quartier bei Bassepin, der jedem vorbeiziehenden Regiment einige Zimmer vermietete und außerdem Kohlen, Öl, Fett und Büchsenfleisch verkaufte. Der Krieg, das waren die besten Jahre in Bassepins Leben! Zum Höchstpreis verkaufen, was er in einer weiter entfernten Gegend für lächerlich wenig Geld erstanden hatte. Sich die Taschen voll stopfen, Tag und Nacht schuften, alle Quartiermeister mit Nötigem und Überflüssigem ausstatten, den abrückenden Regimentern manchmal das wieder abnehmen, was man ihnen vorher verkauft hatte, um es den anderen, die sie ablösten, anzudrehen, und so weiter. Ein Original. Jeder handelt, womit er kann.
Auch die Nachkriegszeit war für ihn keineswegs unergiebig. Schnell hatte er erfasst, dass jede Stadtverwaltung dem Wahn verfallen war, ihre Toten zu ehren. Bassepin weitete seinen Handel aus und verkaufte Frontsoldaten aus Gusseisen und tonnenweise gallische Hähne. Alle Bürgermeister in der Ostregion rissen sich um seine erstarrten Krieger mit hocherhobenen Fahnen und angelegten Gewehren, die er von einem «mit Kunstpreisen ausgezeichneten» tuberkulösen Maler entwerfen ließ. Er hatte dreiundzwanzig Modelle im Katalog, in jeder Preislage und für jeden Geldbeutel, wahlweise mit Marmorsockeln, Goldschrift, Obelisken, kleinen Kindern in Zink, die den Siegern die Kränze reichten, oder Allegorien von Frankreich in Gestalt einer jungen Göttin mit entblößter, trostspendender Brust. Bassepin verkaufte Gedächtnis und Andenken. Die Rathäuser entledigten sich ihrer Schulden bei den Gefallenen auf gut sichtbare, dauerhafte Weise, in Form von mit Kies und Lindenbäumen eingefassten Denkmälern, vor denen an jedem 11. November eine zu laute Blaskapelle die munteren Melodien des Triumphs und die schäbigen des Leids schmettern sollte. Nachts hoben Hunde daran ihr Bein. Tauben spendeten ihnen kotigen Schmuck.
Bassepin hatte eine dicke, birnenförmige Wampe, eine Mütze aus Maulwurfsfell, die er sommers wie winters nie absetzte, eine Lakritzstange im Mund und kohlschwarze Zähne. Er war ein Junggeselle von fünfzig Jahren, und dennoch waren von ihm keinerlei Abenteuer bekannt. Das Geld, das er hatte, behielt er für sich, vertrank es nicht, verspielte es ebenso wenig und brachte es nie in den Bordellen in V. in Umlauf. Kein Laster. Kein Luxus. Kein Wunsch. Nur die Besessenheit, zu kaufen und zu verkaufen, Gold für nichts zu scheffeln, einfach nur so. Etwa wie jene Leute, die ihre Scheunen randvoll mit Heu stopfen, obwohl sie kein Stück Vieh besitzen. Aber schließlich war das Bassepins gutes Recht. Er starb 31, in Gold schwimmend wie Krösus, an einer Blutvergiftung. Unglaublich, wie eine kleine, unscheinbare Wunde einem das Leben versauen, ja verkürzen kann. Bei ihm hat es am Fuß angefangen, bloß ein Kratzer, kaum ein Schnitt. Fünf Tage später war er steif und blau angelaufen, von oben bis unten voller blauer Flecken. Man hätte ihn für einen über und über bemalten afrikanischen Wilden halten können, nur ohne Kraushaar und Speer. Kein Erbe. Niemand vergoss eine Träne. Nicht weil man ihn verabscheute, nein, weit gefehlt. Aber ein Mann, der sich nur für Gold interessiert und andere nicht beachtet, verdient es nicht, dass man um ihn trauert. Er hatte alles, was er sich wünschte. Das kann nicht jeder von sich behaupten. Und so war vielleicht der Sinn von Bassepins Leben, auf die Welt zu kommen, um Geldstücke zu horten. Im Grunde ist das auch nicht dümmer als alles andere: Er hat gut davon profitiert. Nach seinem Tod fiel sein ganzes Geld dann an den Staat: Der Staat ist eine hübsche Witwe, die unentwegt lustig ist und nie Trauer trägt.
Bassepin hat Matziev, als der bei ihm wohnte, sein schönstes Zimmer gegeben und jedes Mal, wenn er ihm begegnete, die Maulwurfsfellmütze gelüpft. Dann konnte man auf seinem Schädel, zwischen den drei oder vier verstrubbelten Haaren, ein großes Feuermal erkennen, das seine ansonsten weiße Kopfhaut zierte und die Umrisse des amerikanischen Kontinents nachbildete. Das Wichtigste, was Matziev zu tun hatte, als er in unserer kleinen Stadt eintraf, war, sich von seiner Ordonnanz ein Grammophon bringen lassen. Man konnte beobachten, wie er Stunden am Fenster seines Zimmers verbrachte.
Trotz der Kälte, die nicht nachlassen wollte, hatte er die Fensterflügel geöffnet, rauchte Zigarren, die so dünn waren wie
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