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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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neuen Sprache zu unbeholfen war, um Geistreiches von sich zu geben, und zu fernab des Hofgeschehens lebte, um irgendwelchen interessanten Klatsch auf Lager zu haben. Er allein schien mich als die zu mögen, die ich war. Ich verliebte mich in ihn.« Die alte Frau setzte sich etwas aufrechter hin, aber ihr Blick war immer noch an die Decke gerichtet. Sie hatte aufgehört, sich zu fächeln. »Mehr noch. Ich gab mich ihm hin. Ich betrog meinen Gemahl.«
    Es dauerte einen Moment, bis Barrick verstand, was sie da sagte, dann war er verblüfft und angewidert. Es war eine Sache, sich darüber im Klaren zu sein, daß auch alte Leute irgendwann einmal körperliches Begehren verspürt hatten, aber es war eine ganz andere Sache, es erzählt zu bekommen und gezwungen zu sein, es sich vorzustellen. Doch ehe er etwas sagen konnte, schloß sich Brionys Hand fest um seinen Arm.
    »Ihr wart allein an einem fremden Ort, Tante«, sagte seine Schwester sanft. »Und es liegt lange zurück.« Aber auch Briony wirkte schockiert, dachte Barrick.
    »Nein, das ist es ja gerade«, sagte Merolanna. »Euch erscheint es so — daß für jemanden meines Alters so etwas so weit zurückliegen muß, daß man sich kaum noch daran erinnern kann. Aber eines Tages, meine Lieben, werdet ihr sehen — es ist, als wäre es gestern gewesen.« Sie sah erst Barrick, dann Briony an, und da war etwas in ihrem Gesicht, das stärker war als Barricks Ekel vor dem, was sie sagte, etwas Verlorenes, Trauriges und Trotziges. »Ja, mehr noch, es ist, als wäre es jetzt.«
    »Ich verstehe nicht ganz«, sagte Briony. »Wie hieß dieser Mann, Tante? Euer ... Geliebter.«
    »Das spielt keine Rolle. Er ist schon lange tot, noch länger als Daman. Dahin, alle beide.« Merolanna schüttelte den Kopf. »Und als Daman von den Kämpfen im Westen zurückkam, war es sowieso schon vorbei. Alles Vergangenheit. Außer meiner Scham. Und dem Kind.«
    »Kind ...?«
    »Ja. Ihr glaubt doch nicht, ich hätte so viel Glück gehabt? Daß mein einziger Fehltritt so einfach geendet hätte, so ... glimpflich?« Merolanna lachte ein wenig, tupfte sich die Augen. »Nein, da war ein Kind, und als ich es merkte, dachte ich, ich könnte es für das Kind meines Gemahls ausgeben, denn er wurde bald zurückerwartet. Doch dann wurde er durch Unwetter und Streit unter den siegreichen Heerführern noch fast ein Jahr aufgehalten. Die Schwestern Zoriens, Segen sei mit ihnen, halfen mir. Sie retteten mich — nahmen mich während der letzten Monate in ihrem Tempel in Helmingsee auf, während hier in der Burg alle dachten, ich sei zu meiner Familie in Fael zurückgekehrt, bis mein Gemahl wiederkäme. Ja, da guckt ihr, Kinder. Täuschung auf Täuschung. Hättet ihr je gedacht, daß eure Großtante eine so verderbte Person war?« Sie lachte erneut. Barrick fand, daß es irgendwie scheppernd klang. »Und dann ... dann kam mein Kindchen.«
    Merolanna ließ sich einen Moment Zeit, um wieder zu Atem zu kommen und ihre Fassung wiederzufinden. »Ich konnte den Kleinen natürlich nicht behalten. Die Schwestern Zoriens fanden eine Frau, die ihn aufziehen würde, und ich nahm diese Frau mit nach Südmark, um sie auf einem Bauernhof in den Hügeln vor der Stadt unterzubringen. Inzwischen ist sie tot, aber viele Jahre habe ich heimlich Geschenke, die mir mein Gemahl machte, verkauft, um für ihren Unterhalt zu sorgen. Auch nachdem das Kind geraubt worden war.«
    »Geraubt?« Jetzt lebte Barricks Interesse wieder auf. »Von wem?«
    »Das habe ich nie erfahren.« Die alte Frau tupfte sich wieder die Augen. »Ich habe ihn manchmal besucht, meinen kleinen Jungen. Oh, er war ja so wonnig, so hübsch! Aber ich konnte nicht oft hin — das hätten zu viele Leute mitbekommen, und einige wären mißtrauisch geworden. Mein Gemahl war ja immerhin der Bruder des Königs. Als die Frau mir also eines Tages erklärte, er sei geraubt worden, glaubte ich ihr zunächst nicht — ich dachte, ihre simple Habgier hätte listigere Formen angenommen, und sie hätte das Kind versteckt und würde mir drohen, meinem Gemahl alles zu sagen, wenn ich ihr nicht mehr Geld gäbe, aber ich merkte bald, daß sie wirklich untröstlich war. Sie war eine arme Frau, und natürlich schob sie es auf die Zwielichtler — »Die Elben haben ihn geraubt«, das war alles, was sie sagte. Knapp zwei Jahre war er damals.« Die Herzoginwitwe hielt inne und schneuzte sich. »Bei den Göttern, seht mich an! Fünfzig Jahre her, und es ist, als wäre es gestern

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