Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, fürchte ich.«
»Dann will ich Sie nicht länger von der Arbeit abhalten«, sagte der Präsident. »Herzlich willkommen im Haus.«
Krause trottete zurück und bat Gillian, sie möge doch Tobias Hundt herbeizitieren. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und aß gut gelaunt ein Puddingteilchen.
Tobias Hundt klopfte so zaghaft an, dass Krause es anfangs gar nicht hörte. Dann wurde das Klopfen lauter.
»Setzen wir uns doch«, sagte Krause, als der Mann eintrat, und wies auf die Sitzecke.
Sie saßen sich in zwei Sesseln gegenüber, und Krause fragte provozierend: »Sie wissen, weshalb ich Sie hergebeten habe?«
Hundt war ein schüchterner, farbloser Mann, ungefähr eins siebzig groß und gekleidet in einen der Anzüge, die genauso aussehen wie ihre Träger, langweilig grau. Zu allem Unglück hatte er auch noch einen ausgeprägten Überbiss.
»Nein«, antwortete er. »Ich war noch nie hier oben. Wahrscheinlich geht es um eine Rechnungsnummer oder so.«
»Das kann man so sehen«, sagte Krause. »Es geht um AX (d). Sagt Ihnen das was?«
»Nicht direkt«, antwortete Hundt. Er sah Krause nicht an.
»Dann lassen Sie sich helfen.« Krause lächelte. » AX (d) ist die Abkürzung für einen Namen. Irgendjemand hat Sie gebeten, ihm mitzuteilen, für welchen Namen dieses Kürzel steht. Oder es lief vielleicht umgekehrt. Jemand nannte Ihnen einen Namen, und Sie haben dann das Kürzel festgestellt. Haben Sie Geld dafür bekommen?«
»Wie bitte? Geld?« Die Augen des Mannes weiteten sich, aber er sah Krause noch immer nicht direkt an. »Habe ich nicht.«
»Der Mann, der Sie dazu brachte, heißt Herbert Nieswandt, und er war hier im Haus eine kurze Zeit lang Ihr Vorgesetzter. Ist das richtig?«
»Ja, das stimmt.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Das weiß ich nicht. Man erfährt ja nichts.«
»Wir haben ihn gefeuert«, sagte Krause hart. »Ich frage Sie noch einmal: Hat er Ihnen Geld für Ihre Auskunft bezahlt?«
»Nein, hat er nicht.« Auf Hundts Stirn stand jetzt ein glänzender Schweißfilm.
»Sie haben Familie, nicht wahr?«, fragte Krause.
»Ja. Wir haben zwei Kinder, zwei Mädchen, drei und fünf.« Hundts Gesichtsausdruck verriet Verwirrung und Angst.
»Ich vermute, Sie steckten in Schwierigkeiten. Was ist passiert?«
»Was soll passiert sein?«
»Herr Hundt«, sagte Krause mild. »Ich will wissen, wie das abgelaufen ist. Von Anfang bis Ende, bitte. Und Sie sollten einfach wissen, dass wir die meisten Umstände bereits kennen.«
Er saß da wie ein Häufchen Elend, hielt den Kopf gesenkt. Er wusste genau, an welchem Punkt er angelangt war.
»Es ist doch so, dass Ihnen die ganzen Umstände über den Kopf gewachsen sind, nicht wahr?«, versuchte Krause ihm zu helfen.
»Meine Frau saß mir ständig im Nacken. Ich wusste einfach nicht mehr, was ich machen soll.«
»Schauen Sie mich an«, sagte Krause väterlich.
Hundt schaute ihm für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen, dann senkte er wieder den Blick.
»Was war mit Ihrer Frau?«
»Alles lief schief.«
»Was genau ist alles, Herr Hundt?«
»Es war das Haus«, flüsterte Hundt und knetete seine Hände. »Damit fing das alles an. Und es war auch Herr Nieswandt, wenn ich das sagen darf.«
»Wollen Sie vielleicht ein Puddingteilchen?«, fragte Krause mitleidig.
Hundt war irritiert. »Das habe ich jetzt nicht verstanden.«
»Schon gut«, sagte Krause.
»Also, meine Frau sagte, wir sollten ein Haus kaufen, ein kleines. Sie sagte, dann hätten die Mädchen es später im Leben mal einfacher. Ich habe von Anfang an gesagt, Häuser sind in Berlin nicht zu bezahlen. Wir sind immer weiter raus aus der Stadt, als wir eins gesucht haben. Dann fanden wir schließlich eins und haben es gekauft. Ich war täglich fast drei Stunden unterwegs hin und zurück. Meine Frau musste ja zu Hause bleiben wegen der Mädchen. Dann ging es immer weiter. Meine Frau wollte auch mal Ferien machen, und wir sind im Sommer nach Rügen. Das Geld wurde immer knapper, weil sie für sich und die Kinder auch jede Menge Klamotten brauchte. Und dann brachte sie einen angeblich günstigen Gärtner an, der unseren Garten richtig gestalten würde. Ich habe gesagt, das geht nicht, aber sie wollte es unbedingt. Und dann wieder Ferien auf Usedom, und es wurde immer enger. Dann klappte es mit den Raten für das Haus nicht mehr, und schließlich musste die Bank die ganze Berechnung revidieren und neu festlegen. Das wurde so eng, dass wir gestritten haben, wenn
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