Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
er. Sie war doch noch ein richtiges Kind. Hoffentlich. Sie war jetzt zehn.
»Wo bist du denn zuletzt gewesen?«, fragte sie atemlos.
»In Tripolis, in Libyen, Nordafrika«, antwortete er.
»Ich habe Mama gesagt, ich wette, dass du da bist. Weil du bist doch immer im Krieg, und das ist immer im Fernsehen.« Ihre zarten Finger mit den grün lackierten Nägeln flatterten aufgeregt durch die Luft, während sie nebeneinanderher gingen.
»Was treiben wir jetzt? Hast du Hunger?«
»Ich muss dich sprechen«, sagte sie mit ernster Miene. »Es ist wirklich dringend. Kann ich nicht bei dir leben, Papa? Zu Hause ist es ganz schrecklich.« Plötzlich sah sie, dass er humpelte. »Was hast du denn?«
»Nur eine kleine Verletzung«, sagte er. »Das ist bald wieder okay. Wieso ist es zu Hause denn schrecklich?«
»Mama hat jetzt diesen Neuen, Ronald heißt der. Er ist ein Arsch, ein richtiger Arsch, Papa. Er ist wirklich übel. Er meckert rum, wo er kann. Dauernd ist es ihm zu laut, weil er immer liest. Fernsehen kann man auch nicht mehr, weil er dasitzt und liest. Wenn Freundinnen bei mir sind, müssen wir auf Zehenspitzen gehen. Ich will da weg. Und er ist arbeitslos.« Sie sprach das letzte Wort voller Verachtung aus. Dann sah Müller, dass sie weinte.
»Das geht leider nicht.« Er bemühte sich um Freundlichkeit und Zuwendung, fühlte dabei langsam Panik aufsteigen und rang um die richtigen Worte. »Ich bin die meiste Zeit irgendwo im Ausland unterwegs, ich bin nur ganz selten in Berlin. Das weißt du doch. Bei mir kannst du nicht leben, weil ich hier nicht lebe.« Wie soll sie das verstehen?, dachte er. Ich war noch nie wirklich für sie da. Sie weiß nichts von mir, ich weiß nichts von ihr.
»Wenn du von irgendwoher zurückkommst, Papa, dann könnte ich für dich kochen. Das ist doch easy.« Sie weinte immer noch.
»Ein Treffer bei meiner Nummer sechzehn«, sagte eine junge Frau ein wenig spöttisch. »Scheint ein Mann zu sein. Er hat keine Ahnung von Frauen und ist der festen Meinung, er hätte alle im Griff. Er spricht davon, dass niemand die Leistungen unserer Kanzlerin zu würdigen weiß.«
»Ich habe hier einen oder eine, die sagt, ihr Vater hätte behauptet, der BND sei in völlige Bedeutungslosigkeit abgerutscht. Seit sie ihm sogar die Baupläne für das neue Zentrum geklaut haben, könne man vom Geheimdienst nichts mehr erwarten.«
»Hier steht was ganz Tolles«, sagte einer der jungen Männer. »Jemand, der sich Watcher nennt, hat herausgefunden, dass alle politischen Gemeinheiten der letzten Wochen, die sich gegen unsere Kanzlerin richten, ohne Antworten blieben, weil die Frau zu viel zu arbeiten hat und auf die haltlosen Unterstellungen nicht mehr angemessen reagieren kann.«
»Hier steht, dass der mit Abstand größte Gegner des BND seine eigene Rechtsabteilung ist, die jedes Risiko vermeidet und jede echte Agententätigkeit unterbindet. Überschrift: Der BND im Würgegriff der Männer ohne Mumm!«
»Halt!«, schrie eine junge Frau. »Halt das mal fest, bitte. Ich habe hier jemanden, der genau diesen Spruch auf dem Schirm hat. Er nennt sich Wahrer der Wahrheit. Und er sagt, es sei einwandfrei erwiesen, dass der BND ins Ausland geflohene deutsche Wirtschaftsverbrecher als Informanten angeheuert hätte. Er sagt, dass dieses unseriöse Verfahren den Dienst Millionen im Jahr kostet und bisher noch niemals irgendeine wichtige Erkenntnis gebracht hat …«
»Ich habe hier einen geklauten Lkw. Das ist nicht zu fassen. Woher weiß Goldhändchen so was im Voraus? Das kann doch nicht sein.«
»Hier ist jemand, der keinen Namen hat. Er sagt: Der BND leidet seit Jahren unter der Tatsache, dass alle vielversprechenden Spuren im internationalen Geflecht der Terroristen nur von der CIA kommen und nicht mehr von den Franzosen oder Deutschen. Und dass die Engländer es längst aufgegeben haben, überhaupt auf dieser Verdachtsschiene zu sammeln und zu ermitteln.«
Goldhändchen stand plötzlich in der Tür und strahlte sie an. »Ich nehme an, dass euer Geschäft blüht. Kann ich denn erfahren, was ihr herausgefunden habt?«
»Bis jetzt nur das Übliche: ein paar Verrückte, ein paar, die sich wichtigmachen wollen, nichts Besonderes eben, höchstens Spinner.«
»Dann macht mal fein weiter«, sagte Goldhändchen lächelnd. »Und hinterlasst schleimige Spuren. Ihr werdet sehen, dass es sich lohnt und dass ihr nur auf den fettesten Fisch warten müsst. Er wird euch ins Netz gehen, da bin ich ganz sicher. Und achtet
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