Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
fragte Krause.
»Ja, noch einer. Ein Koreaner, aus Seoul. Li Nam. Es ging um den Kokainmarkt dort. Ein Beamter von uns war eingeschleust, wir wollten rausfinden, welche der rivalisierenden Banden das Sagen hatte, wer die Preise bestimmte, wer die Kontrolle hatte. Und weil das viel mit Waffenlieferungen und Gegengeschäften zu tun hatte, haben wir es gemacht. Unser Mann war an diesem Li Nam hart dran. Und plötzlich war Li Nam tot. Erdrosselt mit einer D-Saite.«
»Ich schlage dir ein Geschäft vor«, sagte Krause.
»Wie soll das aussehen?«
»Ich bekomme von euch sämtliche Unterlagen, die diese Morde betreffen. Vor allem alle Tatortfotos. Im Gegenzug kannst du dir hier alle Unterlagen über den Folterer Onkel Tobruk in Tripolis abholen, einschließlich aller Briefe und Notizen, die deine Leute in dieser Sache an die Libyer geschrieben haben. Wir haben etwa siebenhundert Seiten in einem Aktenordner und rund vierzig Disketten der guten alten Sorte über das blutige Geschäft des Tobruk.«
Es folgte ein langes Schweigen.
»Ist das dein Ernst?«
»Es ist mein Ernst«, sagte Krause. »Aber du musst selbst kommen, das kann ich keinem Boten anvertrauen.«
»Du hast gute Leute, alle Achtung.«
»Es war eine sehr gute Frau. Die Beste«, sagte Krause zufrieden.
Karl Müller hatte einen Termin beim Arzt vom Dienst.
Er bekam einen neuen Verband und den Rat, die Krücken nicht mehr zu benutzen, eine Schonhaltung zu vermeiden und sich viel, aber vorsichtig zu bewegen. »Und keine Schmerzmittel. Benötigen Sie psychologische Hilfe?«
»Danke, nein, brauche ich nicht.«
»Sie sollten mir aber trotzdem die Gefühle beschreiben, die nach Ihrer Verwundung in Ihnen aufgestiegen sind. Ich muss auch diese Frage stellen.«
»Der alte Mann und die jungen Leute, die mich anschossen, waren sicherlich aus ihrer Sicht im Recht. Ich habe sie bedroht, ich habe den alten Mann angegriffen und auf eine Liege geworfen. Ich muss mich nicht damit auseinandersetzen.«
»Das reicht mir schon, danke«, sagte der Arzt.
Müller rief ein Taxi und ließ sich zu Svenjas Wohnung fahren. Er hatte vor, seine Sachen zu holen und in seine eigene Wohnung zu fahren. Er musste Wäsche waschen und Kleidung in die Reinigung bringen, musste seine Post durchsehen, Rechnungen bezahlen – all die Dinge erledigen, die er so furchtbar öde fand.
Svenja war nicht da, sie hatte ihm eine Nachricht hinterlassen: Muss zum Chef, ich weiß nicht genau, warum. Möglich, dass sie mich gefeuert haben. Anna-Maria hat angerufen, sie klang traurig und nach Chaos. Ruf sie mal an, ich habe es versprochen. S.
Weil er ohnehin wusste, dass er sich nicht verstecken konnte, rief er seine Tochter an.
Seine Exfrau war am Apparat, sie klang erschöpft. »Ich bin vollkommen fertig. Dass du dich auch mal wieder meldest, ist ja echt eine Sensation. Ja, ja, danke der Nachfrage. Anna-Maria ist gut drauf, ich bin gut drauf, alles in Ordnung, keine besonderen Vorkommnisse.«
»Ist Anna-Maria da? Kann ich sie sprechen?«
»Ja, sie ist da. Und versprich ihr nicht wieder, mit ihr ein Eis essen zu gehen. Das hast du schon so oft angekündigt, und nie hat es geklappt.«
»Ich verspreche ihr nichts«, versicherte er.
Dann war seine Tochter am Apparat, es wurde sofort hektisch.
»Können wir uns treffen, Papa?«
»Ja. Wann soll es denn sein?«
»Jetzt.«
»Kannst du denn in die Stadt kommen? Ich meine, du brauchst doch einen Bus oder eine Straßenbahn oder die U-Bahn oder was weiß ich. Und es ist schon fast Abend. Ich meine …«
»Das macht doch nichts«, rief sie begeistert. »Ich darf sowieso bis neun, halb zehn aufbleiben. Das geht doch, Papa.«
»Sag Mama, sie soll dir ein Taxi rufen und dir Geld leihen. Ein Zehner wird reichen. Du fährst bis zum Hauptbahnhof vor den Haupteingang. Ich komme auch dorthin, okay?«
»Ja klar, Papa. Bis gleich.«
Müller bestellte sich ein Taxi, und er war froh, dass er dem Treffen mit seiner Tochter sofort und ohne Wenn und Aber zugestimmt hatte. Er wollte es hinter sich bringen. Er hatte ein schlechtes Gewissen, hatte wegen dieses Kindes immer ein schlechtes Gewissen gehabt.
Er hinterließ Svenja ebenfalls eine Nachricht, er sei unterwegs mit seiner Tochter und werde sie anrufen.
Er war vor ihr am Hauptbahnhof und sah zu, wie sie aus dem Taxi stieg. Sie ist ein ganz schönes Stück gewachsen, dachte er, und sie ist wirklich hübsch. Sie kam auf ihn zugerannt und schlang die Arme um seine Taille. »Papa!«
»Das ist aber schön«, sagte
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