Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
hinsehen.«
»Seit wann wissen Sie das, Gillian?«
»Seit zwei Tagen. Wenn Sie heute nicht gekommen wären, wäre ich zu Ihnen nach Hause gefahren.«
»Warum haben Sie keinen Laut gegeben?«
»Weil Sie ununterbrochen zu tun hatten. Sie hatten keine freie Minute, Sie haben ehrlich gesagt vor Überanstrengung ganz grau ausgesehen. Manchmal ist es ziemlich beklemmend, das mit ansehen zu müssen und nichts dagegen tun zu können.«
»Mit wem haben Sie darüber gesprochen?«
»Mit niemandem«, antwortete sie. »Und Ihre nächste Frage kenne ich schon. Wie ich auf den Mann gekommen bin, nicht wahr?« Sie lächelte leicht.
»Ja«, bestätigte er. »Wie haben Sie das gemacht?«
»Ganz einfach. Wer konnte es auf keinen Fall sein? Das sehr einfache Ausschlussverfahren. Das habe ich von Ihnen gelernt. Bei diesem Mitarbeiter taucht das Kürzel ganz zuletzt noch einmal auf. Im Controlling. Und nur zur allerletzten Kontrolle, damit alles seine Ordnung hat. Bei seinem Kollegen davor nicht, bei der Kollegin davor auch nicht.« Sie setzte hinzu: »Wissen Sie, an dieser alten Geschichte, dass Sekretärinnen erheblich mehr wissen als der Chef, ist schon was dran.« Sie lachte leise. »Offen gestanden war ich schon sauer, dass Sie mich gar nicht gefragt haben.«
»Das war sehr dumm von mir. Und was machen wir jetzt?«
»Gar nichts«, sagte Gillian gelassen. »Jetzt wird mit Ihrer Genehmigung Goldhändchen das ganze System lautlos aufrollen, und am Ende können wir Herrn Hundt fragen, was er sich dabei gedacht hat.«
»Wie alt ist der Mann?«
»Neunundzwanzig. Verheiratet, zwei Kinder.«
»Wie lange ist er schon bei uns?«
»Seit fast zehn Jahren.«
»Was vermuten Sie?«
»Etwas ganz peinlich Einfaches: Jemand wird ihn bezahlt haben.«
»Setzen Sie sich mit Goldhändchen an einen Tisch«, sagte Krause. »Er soll niemanden sonst hinzuziehen.«
»Und jetzt der Lammers. Danach gehöre ich ins Bett. Und vielen Dank, Gillian.«
»My pleasure«, sagte sie. »Es war ja sehr einfach.«
Wenig später führte sie Friedhelm Lammers zu Krause, servierte Kaffee und verschwand wieder.
Sie waren vom gleichen Jahrgang und kannten sich seit mindestens dreißig Jahren. Sie hatten oft hitzige Gefechte miteinander geführt, aber sie hatten sich niemals gegenseitig verwundet. Und sie respektierten sich.
»Wir nehmen nichts auf«, sagte Krause resolut. »Wir reden und entscheiden. Ist das in deinem Sinne?«
»In Ordnung«, sagte Lammers.
»Gut. Einer deiner Anwälte, wir haben uns bisher nicht nach seinem Namen erkundigt, hat meinen Agenten Thomas Dehner gefragt, ob er etwas über das intime Verhältnis zweier meiner Agenten aussagen wolle. Das war Teil eins. Teil zwei war, dass er denselben Agenten fragte, ob er etwas über das Vorhandensein von schwulen Agenten wüsste. Dehner hat geantwortet, er sei der Einzige. Kann das so stimmen?«
»Das stimmt so«, antwortete Lammers ruhig.
Er war ein hagerer, hoch aufgeschossener Mann mit einem Raubvogelgesicht. Er hatte leuchtend blaue Augen und eine weit vorspringende Nase. Zum grauen Anzug trug er ein weißes Hemd mit roter Krawatte. Für einen Einsatz in der Inneren Mongolei, bei dem er persönlich einen Agenten befreit und herausholt hatte, war ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen worden. Und Krause hatte sich persönlich für diesen Orden eingesetzt.
»Es ist mir zuwider, alle diese Gerüchte zu erörtern, wie du dir denken kannst. Bei der Befragung von Dehner hat mein Mann sich entschieden danebenbenommen. Ich entschuldige mich persönlich bei Dehner dafür. Mehr kann ich nicht tun.«
»Aber die Fragen sind gestellt worden. Kannst du mir verraten, wie wir auf diese Ebene kommen konnten? Ich meine, das geht unter die Gürtellinie, das ist weder deine Art noch meine.«
»Ich stimme dir zu«, sagte Lammers.
»Also«, sagte Krause sanft, »dann beantworte mir die Frage, woher das alles kommt.«
»Das ist die falsche Frage«, stellte Lammers fest. »Es geht nicht nur um die Agenten, es geht einfach gegen dich und die gesamte Operationsleitung. Frag mich nicht, wer das ist. Das kann ich dir nicht beantworten. Ich weiß es einfach nicht. Ich weiß nur, dass in meiner eigenen Abteilung die Meinung vorherrscht, dass du selbstherrlich vorgehst.«
»Das weiß ich, aber das ändert nichts an den Fakten. Und wie kommt es, dass gemunkelt wird, wir würden Steuerflüchtlinge und Wirtschaftsverbrecher als Informanten im Ausland anheuern?«
»Aber Arthur Schlauf ist eindeutig ein solcher
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