Die große Flut
»Macht ihm doch wenigstens Platz. Drängt euch nicht so heran. Seht ihr denn nicht, daß er das Sonnenfieber hat? Ach, sieht er mitgenommen aus!«
Elisheba, Sems Frau, musterte ihn prüfend. »Das halbe Kind soll ein Riese sein?«
Yalith zwängte sich zwischen Matred und O-holi-bamah durch. Sie schrie auf. »Das ist mein junger Riese!«
»Was sagst du da, Tochter?« fragte Matred. »Du kennst ihn?«
»Ich sah ihn in Großvater Lamechs Zelt, als ich das Nachtlicht hinübertrug.«
Der Patriarch schnaubte. »Ein Riese, den mein Vater nicht in seinem Zelt haben will, hat auch in meinem nichts zu suchen.«
»Oh, Vater, bitte!« bettelte Yalith. »Dieser Riese lag in Großvaters Zelt und…« Sie betrachtete ihn genauer. »Ich frage mich, ob es wirklich der da war. Wo ist Japheth?«
Die Zeltklappe ging auf, und Japheth trat ein. »Hier bin ich. Ich habe das Einhorn gesucht, aber…«
Selah hob den Rüssel und trompetete.
»Nein!« rief Japheth. »Ich suche vergeblich die ganze Oase ab, und da ist das Einhorn ja! Und den Den hat es auch gebracht.« Er ließ sich auf die Knie nieder. »Großer Auk! Lebt er noch?«
»So macht doch endlich Platz!« befahl O-holi-bamah. Sie legte Dennys die Hand auf die nackte Brust. »Ja, er lebt. Aber in ihm brennt das Fieber.«
Anah wich einen Schritt zurück, streifte mit dem Arm ihre Haare aus dem Gesicht. »Ist er ein Seraph oder ein Nephil?«
Yalith schüttelte den Kopf. »Er hat keine Flügel. Ach, Japheth, bin ich froh, daß du gekommen bist. Nicht wahr, das da ist der andere Riese, der, den du gesucht hast?«
Japheth nickte. »Er sieht auf den Tod verbrannt aus.«
O-holi-bamah legte Dennys die Hand auf die Stirn, erschrak. »Er ist ganz heiß.« Sie wandte sich an das Einhorn, dessen Gestalt sich schon beinahe aufgelöst hatte. »Kannst du ihm helfen?«
Das Einhorn verfestigte sich wieder. Es neigte das Haupt, und sanftes, kühlendes Licht entströmte seinem Horn.
Ham richtete sich mühsam auf, drängte seinen Körper dem Einhorn entgegen. »Nicht ihm, mir sollst du helfen!
Ich bin krank!« Seine blonden Haare klebten am Kopf, auf seiner Brust glänzten Schweißtropfen.
Erneut ein Lichtblitz, und das Einhorn war verschwunden.
»Du Narr!« Anahs grüne Augen funkelten. »Du weißt doch, daß du keinem Einhorn nahe kommen darfst.«
»Und wie schaffen wir uns jetzt diesen halbgaren Riesen vom Leib?« fragte der Patriarch.
Matred protestierte. »Wir sollten ihm unsere Gastfreundschaft nicht verweigern.«
»Mein guter Vater Lamech hat ihn immerhin aus dem Zelt geworfen«, murrte ihr Mann.
»Nein«, wandte Yalith ein. »Du irrst. Es sind zwei Riesen. Großvater hat den anderen bei sich und pflegt ihn.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte ihr Vater. »Weshalb sollte es gleich zwei so sonderbare Riesen geben?«
»Ach, Vater, warum gehst du nicht zu Großvater Lamech und überzeugst dich selbst davon?«
»Ich will den Alten nicht verhätscheln. Und seine seltsamen Riesen noch weniger. Wir haben auch ohne sie genug Sorgen am Hals.«
Yalith kniete sich zu O-holi-bamah und betrachtete den Jungen. Sein Atem ging flach, seine geschlossenen Lider zuckten. Yalith strich ihm sanft mit der Fingerspitze über die glühenden Wangen. »Du bist nicht Sand? Du bist sein Bruder?«
Die Augen öffneten sich einen Spaltbreit. »Dennys. Dennys.« Hastig barg er den Kopf in den Armen, als wolle er einen Schlag abwehren. Seine Glieder flatterten.
»Was soll das?« fragte Japheth. »Jemand muß ihn geschlagen haben. Und er erkennt mich nicht.«
»Er fürchtet sich!« sagte Elisheba vorwurfsvoll.
Sem widersprach ihr. »Du glaubst doch nicht, daß Großvater Lamech ihm etwas angetan hat!«
»Das täte er nie!« pflichtete Japheth seinem Bruder bei.
»El! Seine Haut ist ganz wundgerieben!« rief O-holi- bamah. »Man muß ihn auf dem Weg von Großvater Lamechs Zelt zu uns überfallen haben.«
Japheth beugte sich über ihn und fragte leise: »Den?«
»Dennys«, stöhnte der Junge.
»Wo bist du gewesen? Hat jemand dich und das Einhorn zu sich gedacht? Wer?«
O-holi-bamah faßte ihren Gatten bei der Hand. »Das war Selah. Er hat ein Einhorn gerufen, und plötzlich war dieser verwundete Riese da.«
Japheth schüttelte den Kopf. »Vorher ist er jemand anderem in der Oase zum Opfer gefallen.«
Anah spähte über Yaliths Schulter. »Bist du sicher, daß er ein Mensch ist?«
Japheth runzelte die Stirn. »Sie sagen, sie seien Zwillinge. Ich nehme an, das bedeutet, daß sie
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