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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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begleiten. Das würde er sich nicht entgehen lassen!
    »Vernichtung!«, murmelte er jetzt vor sich hin. Das klang allerdings schon wieder ganz verprügelt und hoffnungslos, womit er wirklich nicht gerechnet hatte.
    Die Flasche auf dem Tisch war bereits halb leer. Genau genommen, schon zu drei Viertel, aber Glabrecht belog sich in dieser Hinsicht stets sehr effektiv. Leider meldete sich der Tinnitus im linken Ohr immer deutlicher. Den hatte er eine Weile lang vergessen, aber jetzt fiel ihm auf, dass ihm da eine verhexte Grille im Kopf saß, seine private innere Grille. Nicht, dass der Tinnitus vom Trinken tatsächlich zugenommen hätte, aber er spielte sich in den Vordergrund, er nutzte Glabrechts Kapitulation vor den Dingen aus, seine lebenstechnische Verdünnung: ein an- und abschwellender feilender Höhenton, fast wie vom Rhythmus des Herzschlags diktiert, aber letztlich viel unregelmäßiger als dieser.
    Fred und Annie, die beiden anderen Gäste des geselligen Abends, waren, als Glabrecht sie kennen lernte, bereits längere Zeit mit Marianne befreundet gewesen. Beide waren sie, wie sich damals herausstellte, aus ökologischen Gründen konsequent rebellische Wenigarbeiter und Konsumverweigerer. Offenbar sollte diese Art der Lebensführung den energetischen Grundumsatz begrenzen. Einmal im Jahr flogen sie allerdings nach Nepal, um dort zu wandern. Als Fred seinerzeit davon erzählte, ergriff er Annies Hand, und dann schauten die beiden Marianne und Glabrecht an, ein wenig von unten, wie brave Hunde, die etwas Böses getan hatten, in diesem Fall die Stratosphäre mit Abgasen verseucht. Damals war es noch um das menschheitsbedrohende Ozonloch gegangen. Wo war das eigentlich inzwischen abgeblieben?
    Die beiden waren immer noch zusammen, und nach Nepal flogen sie nur noch alle zwei, drei Jahre. Fred arbeitete im Augenblick für ein sehr erfolgreiches Hamburger Solartechnikunternehmen, das an der Börse, in der Folge der Ölpreissteigerung und des Hypes um die erneuerbaren Energien, viel zu hoch bewertet war. Annie pflegte das Haus draußen in Worpswede, die beiden Kinder, die drei Katzen, den Hund und das Schaf, das den Rasen ohne Energieverschwendung kurz hielt. Letzteres milderte ein wenig das Skandalöse der Tatsache, dass Fred jeden Werktag mit dem Auto nach Hamburg fuhr und abends wieder zurück.
    Annie musste inzwischen gegen dreiundvierzig sein, sah aber älter aus. Ihre Brüste und der Bauch waren dabei zusammenzuwachsen. Der Bauch kam von unten, die Brüste von oben. Jedenfalls hatte Glabrecht das vor einigen Monaten, während des letzten Treffens, festgestellt. Noch hatten sich die Körpersegmente nicht in der Mitte des Rumpfes getroffen, aber in ein paar Jahren würde es so weit sein. Sie trug die übliche deutsche präklimakterische Zusel-Kurzhaarfrisur und hatte sich, nach eigenen Angaben, einer der Frauen-Gruppen angeschlossen, die im Teufelsmoor sogenanntes Nordic Walking betrieb.
    Spätestens, als sie das erzählte, war sie für Glabrecht zum innerlichen Radikalabschuss freigegeben. Die meist fetten oder sonst wie misswüchsigen und gerade deswegen optisch und akustisch besonders frech auftrumpfenden weiblichen Personen, die sich dieser Tätigkeit hingaben, stellten nämlich für ihn ein wesentlich größeres Problem dar als zum Beispiel die amerikanische Nahost-Politik. Nach einem Aufeinandertreffen mit einer solchen Rotte brauchte er Minuten, um seinen Zorn auf die Verhöhnung seiner ästhetischen Ideale loszuwerden. Diese Frauen und die obszöne menschliche Selbstentwertung, die sie in aller Öffentlichkeit betrieben, zogen auch Glabrecht mit hinunter in ihren Dreck. Zum Glück waren die Nordic Walkerinnen bislang erst selten in Glabrechts Laufrevier, den Wiesen des Naturschutzgebietes, eingebrochen.
    Es wurde Ernst, der schlimme elektronische Haustürklang ertönte. Glabrecht erschrak und bemerkte, dass er gerade am Einschlafen gewesen war.
    »Schatz«, sagte er, eher zu sich selbst als zu Marianne, die wieder viel zu weit entfernt war, und er ließ dieses verhasste Wort wie einen Peitschenhieb knallen, »Schatz, es klingelt!«
    Marianne nannte den Gong »Klingel«, und Glabrecht hatte sich angepasst. Der Himmel war dunkler geworden, die Schwüle, jedenfalls schien es Glabrecht so, hatte zugenommen. Er erhob sich, dann – er spürte seine unendliche Müdigkeit – schüttete er rasch noch ein Gläschen Rotwein nach. Besser war besser!
    Fred stand bereits im Eingangsbereich, groß, gebeugt, volles

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