Die große Verschwendung
machst du mich die ganze Zeit. Und auch du, ist das nicht auch für dich so, ich meine …?«
Glabrecht stockte, weil der Rest des Satzes, weil die Frage nicht seiner Überzeugung entsprochen hätte. Dann, ein paar Sekunden später, fuhr er fort. »Hast du denn keine Hoffnung, dass sich das für dich ändern könnte? Ich meine, die Sache mit dem Glück oder, vielleicht besser, den Glücksmomenten?«
»Mit solchen Glückshoffnungen habe ich immer nur das Unglück angelockt«, sagte Adriana. »Es gibt kleine Dinge, die ich allein erlebe und über die ich mich freue. Wenn plötzlich, im Herbst, ein Ahornblatt an meinem Gesicht vorbei fällt – oder so etwas. Natürlich bin ich gern mit dir zusammen, das ist mir das Wichtigste im Augenblick, aber du solltest dich nicht zu viel mit mir beschäftigen, nicht planen mit mir. Du idealisierst mich. Ich spüre, dass du das tust, aber ich will es nicht. Tu es nicht, bitte!«
Glabrechts Gefühlsohren verstanden hauptsächlich den Satz mit dem Ahornblatt. Der Rest wurde von seinem Gehirn unzureichend verarbeitet. Es war ein Satz, wie er ihn hören wollte. Hundertmal mächtiger war er als die Bitte Adrianas, er möge nicht mit ihr planen, mächtiger als die Frage, was diese Bitte zu bedeuten hatte. Er trieb einen Wunsch ans Licht, den Glabrecht schon längere Zeit hegte, nämlich Adriana in Oslo zu besuchen.
Jetzt gab es keinen Grund mehr, den Plan zu verschieben, und Adriana war sofort einverstanden. Glabrecht schaute in sein Kalendarium, das Frau Scholz ihm an jedem Wochenende, auf den neuesten Stand gebracht, mit nach Hause gab. Am übernächsten Freitag hatte er abends keinen Termin, und auch das Wochenende würde frei sein.
Also vereinbarten sie, sich das übernächste Wochenende in Oslo zu sehen. Genauer gesagt, es war fast ausschließlich Glabrecht selbst, der da plante. Er redete sich in eine Euphorie hinein, was er selbstverständlich bemerkte, aber er konnte nicht aufhören damit. Er erzählte ihr, wie sie ruhig auf ihrer Couch liegen würden, wie sehr er sich das gewünscht hatte, in ihrer Wohnung, und wie sie neben ihm liegen und wie er ihren Kopf auf seiner Schulter spüren würde, ganz ruhig würde alles sein, lange würden sie so liegen und schweigen, die Zeit würde sich dehnen, als würde das Leben nie enden. Vielleicht würde sie sogar einschlafen, und er würde sie betrachten dürfen, wie sie schläft – und dergleichen fürchterliche Dinge mehr sagte er zu ihr, und, noch einmal, wie sehr er sich das wünschte.
Erst nach dem Ende des Telefonates legte er sich Rechenschaft darüber ab, dass Adriana sehr still gewesen war, ja dass sie nicht einmal Vorfreude gezeigt hatte, als er ihr die Produkte seiner Wunschmaschine präsentiert hatte. Sie war vollkommen sachlich geblieben.
Am kommenden Tag bestellte er vom Büro aus online eine Sonnenbank. Sie würde in den Kraftraum kommen und seiner alten Haut etwas Farbe und Spannung verleihen. Er würde sich gerade so viel sonnen, dass Adriana den Effekt einer quasi natürlich vorhandenen Schönheit zuschreiben würde.
Alicija wurde auf die Lieferung vorbereitet und darauf, die Installation der Sonnenbank im Keller zu beaufsichtigen. Unglücklicherweise war aber auch Marianne zu Hause, als das Gerät zwei Tage später eintraf. Obwohl Marianne und Glabrecht nur noch das Nötigste miteinander redeten, behauptete er abends ungefragt in ihre extrem spöttische Mimik hinein, sein Hausarzt Dr. Mühlecker habe ihm Sonnenbankaufenthalte gegen seine Schlafstörungen empfohlen. Außerdem kündigte er seine Oslo-Reise an: Eine kurze Besprechung mit den Investoren sei nötig. Immer noch wollte er also die Existenz Adrianas vor Marianne verschleiern. Die sollte es sich nicht allzu einfach machen können mit ihren Schuldzuweisungen.
9.
Es war kurz vor der Mittsommerwende. Die beiden Nächte, die Glabrecht in Oslo erleben würde, würden noch kürzer und heller sein, als sie es in Bremen wären. Dies und all das andere erregte ihn sehr, er fühlte sich jung und gesund an diesem Freitag, an dem er morgens seinen Uhrensafe geöffnet hatte, um ihm fünfzig Hundert-Euro-Scheine zu entnehmen, die er in die Innentasche seines Sakkos schob. Genau in diesem Augenblick dachte er an die im August anstehende Ratssitzung der Stiftung für Globales Handeln . Die Einladung nach Liechtenstein lag bereits vor. Glabrecht schloss den Knopf der Sakkotasche. Die Welt fühlte sich jetzt so an, als trage er eine kugelsichere Weste. Sein
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