Die große Volksverarsche
Werbung und Ärztebestechung wie in Forschung. Vor allem die aufwendige Langzeitforschung haben die
Chief Executive Officers (CEOs) und Vorstandsvorsitzenden der Pharmakonzerne nach und nach wegrationalisiert. Kein Wunder, schließlich sitzen auf diesen Posten schon lange keine Fachleute mehr, sondern häufig Ökonomen und Juristen mit Zeitverträgen. Ihr Augenmerk gilt daher den zeitnahen Boni und nicht der ebenso zeit- wie kostenintensiven Suche nach neuen Wirkstoffen. Bis Anfang der 1980er-Jahre konnten deutsche Arzneimittelproduzenten wie die Hoechst AG noch mit qualitätsvollen, also wirksamen innovativen Produkten aufwarten. Doch seit die neoliberale Profitorientierung das Ruder übernommen hat, ist für konzeptionelle Forschung kein Platz mehr. Stattdessen müssen die Pharmakonzerne innovative Produkte einkaufen oder – und darin besteht ihre Hauptbeschäftigung – zusammengeschusterte Eigenprodukte, die so gut wie keinen therapeutischen Mehrwert haben, als innovativ vermarkten ... und möglichst patentieren lassen. Denn solange ein Patent besteht, kann der Patentinhaber den Preis für das Medikament diktieren (für die Dauer von ca. 15 Jahren nach Verkaufsstart). Dafür wird die wissenschaftliche Information gerne auch mal so lange hin und her gedreht, bis sie die gewünschte Form angenommen hat. Im Fachjargon spricht man in diesem Zusammenhang von Ghostmanagement: Erst bekommt ein externer Schreiber den Auftrag, die Inhalte nach Wunsch der Firma zielführend aufzubereiten, dann wird ein käuflicher Wissenschaftler gesucht und bezahlt (!), der als »key opinion leader« (Meinungsbildner) fungiert und bereit ist, als offizieller Autor des Werks aufzutreten. Riecht ziemlich nach Irreführung oder gar Betrug, was? Ja. Aber wenn, dann nur nach Wissenschaftsbetrug. Und der ist in Deutschland – im Gegensatz zu anderen Ländern – nicht strafbar. Unterstützt wird die Pharmaindustrie dabei auch von den »Mietmäulern« mit Professorentiteln, die gerne »tingeln« gehen: Für gute Honorare
und angemessene Aufwandsentschädigung sind sie durchaus bereit, auf Fachkongressen und ähnlichen Marketingshows der Hersteller das Medikament Hilftnixopharm der Fachöffentlichkeit als wichtigen Meilenstein in der Pharmaforschung unterzujubeln und seine Wirksamkeit in den höchsten Tönen zu loben.
Die Mischmit-Masche
Um bei neuen Produkten und Gesetzen möglichst freie Fahrt zu haben, versteht es die Pharmaindustrie wie kaum eine andere deutsche Industrie, ihre Fürsprecher und Interessenvertreter in den entscheidenden Gremien zu platzieren. Beispiel Novartis Vaccines: Nachdem Aventis 2004 von dem kleineren französischen Konkurrenten Sanofi übernommen worden war – mit tatkräftiger Unterstützung der französischen Regierung –, musste der neue Pharmariese seine Impfstoffsparte Behring aus kartellrechtlichen Gründen verkaufen. An Novartis. CEO dieses lukrativen neuen Geschäftszweiges wurde 2007 der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (STIKO). Bemerkenswert an diesem Schachzug der Novartis-Vorstände: Die STIKO ist Teil des bundeseigenen Robert-Koch-Instituts. Deren Mitglieder beraten die Regierung im Hinblick auf Impfempfehlungen und entscheiden somit über den Impfstoffabsatz der Pharmaindustrie. Gleichzeitig, so der Pharmakologe Prof. Schönhöfer, erhält die Mehrzahl der STIKO-Mitglieder materielle Zuwendungen seitens der Impfstoffhersteller oder von deren Agenten. Womit der Schulterschluss zwischen Bundesgesundheit(-sministerium) und Pharmaindustrie einmal mehr gestärkt worden sein dürfte. Oder ist es wirklich Zufall, dass Novartis und die AOK kurze Zeit später einen Exklusivvertrag über den Grippeimpfstoff Begripal
(früher Begrivac) abgeschlossen haben? Zum Hintergrund: Die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt wollte den Krankenkassen helfen, Geld zu sparen, und machte den Weg frei für Ausschreibungen. Das heißt, die Krankenkassen können mit dem Pharmaunternehmen, das für diesen oder jenen Wirkstoff die günstigsten Konditionen bietet, Exklusiv-, auch Rabattverträge genannt, abschließen. Da diese als Wirtschaftsverträge der Geheimhaltung unterliegen – haben Sie das übersehen, werte Frau Schmidt? –, stehen der Kungelei Tür und Tor offen ... »Und die Pharmaindustrie ist hervorragend beim Kungeln und Korrumpieren«, sagt Peter Schönhöfer. Im Falle des erwähnten Vertrags zwischen Novartis und der AOK, die übrigens 40 Prozent des Arzneimittelumsatzes in Deutschland
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