Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)
still, wage kaum zu atmen …
* Was ist?*, frage ich schließlich. *Warum rennst du nicht weg?*
* Ein großer Hirsch läuft nie vor seinem Schicksal davon .*
Zu meiner Überraschung stapft er langsam über die zerbröckelten Schieferplatten in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Ich würde am liebsten von seinem Rücken herunterspringen und mich verdrücken, aber ich kann nicht. Ich bin wie gelähmt vor Angst. Angst vor dem, was in dem grauen Nebel auf uns lauert.
* Alles ist gut* , sagt der Hirsch plötzlich. Er spricht nicht mit uns, er spricht zu dem Ding, dem Ding im Nebel. * Alles ist gut* , wiederholt er noch einmal. * Du kannst dich jetzt zeigen .*
Die Wolkenschwaden weichen langsam wie ein Vorhang aus Papier. Zum Vorschein kommt – kein menschlicher Tierjäger. Eher ein tierischer Menschenjäger. Helle Schlammspritzer zieren seinen kohlschwarzen Kopf, er hat die Ohren angelegt und der Schwanz hängt schlaff herab.
Es ist das Wolfsjunge aus dem Ring des Waldes.
Kapitel 15
Ich ducke mich, in der Erwartung, dass das Wolfsjunge auf den Hirsch losgeht. Aber der Kleine benimmt sich kein bisschen wie ein Wolf, ganz im Gegenteil, er macht sich ganz klein, scheint förmlich zu schrumpfen, so als habe er Angst vor uns.
* Du hast eine gute Spürnase, Kleiner *, sagt der Hirsch.
Die grünen Augen des Welpen schweifen nervös zwischen mir und dem Hirsch hin und her.
* Ich komme in Frieden, Edle, Große Wildnis … *
* Das weiß ich *, erwidert der Hirsch mit klangvoller Stimme.
* In der Dunkelheit habe ich mich aufgemacht und bin euch gefolgt – ich bin durch dieselbe Lücke zwischen den Bäumen geschlichen wie ihr, ich habe eure Witterung aufgenommen und euch über die Große Weite bis zu den hohen Wällen verfolgt … *
* Ja, ja, das weiß ich alles *, sagt der Hirsch. * Ich hatte dich längst in der Ferne gewittert, als ich den Jungen unter dem Felsen aufgeweckt habe .* Er gluckst amüsiert. * Ich fürchte, als Jäger hast du noch viel zu lernen .*
Kleiner Wolf schnappt und fletscht die Zähne.
* Ich bin ein guter Jäger! Mein Vater hat gesagt, ich würde später einmal der größte aller Jäger werden! Ich habe keine Angst vor dir! Ich bin ein Wächter vom Ring des Waldes! Mein Vater … *
Er hält inne und schluckt.
* Wie geht es deinem Vater? *, fragt der Hirsch sanft.
Kleiner Wolf schüttelt den Kopf.
* Wir wissen es nicht. Nach seinem Sturz wurde er nicht mehr gesehen .* In seinen Augen flackert Zorn auf. * Sie haben geschworen, ihn zu rächen – weißt du das eigentlich? *
Diesmal lacht der Hirsch nicht, sondern hört aufmerksam zu.
* Ja, das kann ich mir denken. Und was ist mit dir, Wolfsjunges? Willst du mich jetzt töten, um deinen Vater zu rächen? *
* Mein Vater wird gerächt werden *, sagt der kleine Wolf leise und starrt auf den feuchten Schiefer unter seinen Pfoten.
* Aber er hat sich geirrt*, fährt er fort .* Wir alle haben uns geirrt. Kaum war nach eurer Flucht die Sonne untergegangen, als auch schon weitere von uns dem Beerenauge zum Opfer fielen. Inzwischen sind auch die anderen Adler erkrankt und noch einige Dachse. Alle haben große Furcht. Manche meinen, das Ende der Dinge sei nahe, wie es die Träume vorhersagen … *
Er blickt ängstlich hoch zu den am Himmel treibenden Wolken.
Der Hirsch schließt die Augen und schüttelt den Kopf.
* Noch nicht, Wolfsjunge. Nicht solange noch Blut durch diese Adern fließt. Also warum bist du gekommen, wenn es dir nicht darum geht, deinen Vater zu rächen? *
* Weil das Letzte Wild, das ich mein ganzes Leben lang zu beschützen geschworen habe, im Sterben liegt. Deshalb bin ich hier – um dir bei deiner Suche zu helfen, Große Wildnis .*
Ich lasse mich auf den Boden gleiten und mache einen Schritt auf den kleinen Wolf zu. Ich möchte ihn streicheln. Als er anfängt zu knurren und sein Fell sträubt, ziehe ich die Hand rasch wieder zurück.
* Aber ich werde ganz sicher nicht den Menschen helfen! Niemals werde ich das tun! *
* Dann kannst du nicht mit uns kommen. Wir brauchen nämlich die Hilfe der Menschen .*
Das Wolfsjunge starrt mich mit großen Augen an. Ich halte die Hände hoch als Geste des Friedens.
* Ganz ehrlich, ich will dir helfen *, versichere ich ihm. * Ich tue dir nichts .*
* Hah! *, schnappt der kleine Wolf und stellt die Ohren auf. * Das will ich dir geraten haben! Also nimm dich lieber in Acht! Ich werde über dich wachen .*
Seine Ankündigung verwirrt mich.
* Für Menschen ist es etwas Gutes,
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