Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)
plötzlich sackt mein Magen nach unten. Polly starrt mich mit großen Augen an und lässt meine Hand los, als hätte sie sich daran verbrannt.
»Du hast mir nie gesagt, dass dein Pa für sie arbeitet.« In ihrer Stimme liegt eine ganz neue Kälte. »Ist er so einer wie der da? Oder ist er wie Selwyn Stone?«
Ich schüttele den Kopf, ich will es ihr erklären, aber Skuldiss redet bereits weiter.
»Ein besonders gern gesehenes Jungenskind, wenn ich meinen Informationen hier glauben darf. Ein Ausreißer und noch dazu einer, der erst – wie sagt man – ein großes Trara macht und dann durchbrennt. Aber keine Sorge. Du wirst schon erwartet, Kleiner. Erst machen wir dem Miezekätzchen den Garaus und dann einen kleinen Abstecher nach Mentorium.« Der Gedanke entlockt ihm ein fieses Grinsen. »Und was deine kleine Freundin angeht … Deine liebe Mami und dein Papi sind in Mons verhaftet worden, Mädchenskind. Weil sie versucht haben, sich wertvolles Formula unter den Nagel zu reißen, das doch nur für gesetzestreue Stadtbewohner gedacht ist, nicht solch dahergelaufenes Volk, wie ihr es seid. Also heißt es auch für dich, auf nach Mentorium.«
Er schlägt die Luke wieder zu. Ich werfe mich gegen die Zwischenwand und trommle mit den Fäusten gegen die Blechverkleidung. Zurück nach Mentorium – niemals.
»Wo sind sie? Ich will zu ihnen«, kreischt Polly. Aber alles bleibt still, nur das Brummen des Transporters ist zu hören.
Wir lehnen uns beide erschöpft zurück, aber dann spüre ich Pollys argwöhnischen Blick auf mir. Sie rutscht zur anderen Wand, möglichst weit weg von mir.
Ich muss das alles erklären, ich muss ihr sagen …
Dass ich genauso fassungslos bin wie sie.
Pa arbeitet nicht für Facto. Jedenfalls damals nicht – vor sechs Jahren, als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe.
Das Quietschen der Bremsen reißt mich aus meinen Gedanken. Der Transporter gerät ins Schleudern …
Wir fliegen beide gegen die Seitenwand …
Dann landen wir auf der Tür, die nun die Decke ist …
Gleich darauf wirbeln wir durch die Luft wie Bonbons in einer Dose, alle außer mir kreischen und brüllen …
Bis mit einem Schlag alles aufhört.
Außer dem Zischen und Heulen des Motors ist kein Laut zu hören. Ich taste meine Arme und Beine ab, zum Glück ist nichts gebrochen. Neben mir höre ich ein Ächzen – etwas sehr Weiches und sehr Flauschiges liegt zwischen uns, alle viere von sich gestreckt.
* Sidney! Bist du in Ordnung? *
Keine Antwort.
Das arme Ding fühlt sich ganz schlaff und leblos an. Ich ziehe sie an mich und versuche, ihr wieder etwas Wärme zu geben. Polly nimmt Sidney aus meinen Armen und reibt über ihr Fell, sie rubbelt die Katze von oben bis unten ab, um ihre Lebensgeister zu wecken. Da höre ich es – eine schwache, sehr dünne Stimme.
* Worauf wartest du noch? *
Vor Erleichterung schlage ich die Hände zusammen.
Polly hält sie fest im Arm. »Sagt sie was, Kester? Kannst du sie hören?«
Ich traue meinen Ohren kaum, weil sie mich zum ersten Mal mit meinem richtigen Namen anspricht, und fast hätte ich gelächelt. Aber es war nicht Sidney, die gesprochen hat.
Im fahlen blauen Licht sehe ich an der Decke, die vor wenigen Minuten noch der Boden des Transporters gewesen ist, zwei lange Fühler.
* Wie oft muss ich das Kommando denn noch geben, bis du es endlich kapierst, Soldat? Mach schon, öffne endlich die verdammte Tür! *
Hinter mir hustet Sidney in Pollys Armen wie ein krankes Baby. Ich hefte meinen Blick auf den Lichtspalt zwischen den Türen und trete mit aller Kraft zu.
Zu meiner Überraschung fliegen sie sofort auf und ein Windstoß pfeift ins Innere des Transporters, der den General von seiner Sitzstange fegt.
Polly rappelt sich auf und hält mir die Hand hin. Als ich danach greife, springt sie mit einem Satz von der Ladefläche und reißt mich und Sidney mit ins Freie. Ziemlich unsanft landen wir in einem Wassergraben mit verwachsenen Wurzeln. Um uns herum ist nichts als Matsch, alles ist voller Schlamm. Sidney ist schlagartig von einer weißen Katze zu einer schwarzen Katze mit ein paar wenigen weißen Flecken geworden. Polly und ich spucken und wischen uns die feuchte Erde aus dem Mund. Ihr Gesicht wirkt bis auf die Augen wie mit einer Art Kriegsbemalung überzogen.
Jetzt weiß ich, welches Bild ich abgegeben habe, als ich plötzlich in ihrer Küche stand. Kein Wunder, dass sie zum Gewehr gegriffen hat.
Über unseren Köpfen schwingt sich der General auf die Stoßstange,
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